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GedichteWelt
Vorweg eine große Entschuldigung: die GedichteWelt ist auf der HandyVersion falsch konfiguriert, ich habe noch keine Lösung dafür. Daher: am Besten am Tablet oder PC.
Manchmal geht es mir so, dass ich ein Gedicht lese und es haut mich um.
Ich bin beeindruckt, berührt, gefesselt. Manchmal macht es mich auch fassungslos oder betroffen, oder es geht mir an die Nieren und unter die Haut.
Dann denke ich: "Mensch, merk es dir!"
und vergesse es dann wieder ....
Daher die Idee, die Gedichte zu sammeln.
Dies habe ich jetzt - in Anfängen - in die Tat umgesetzt.
Der Verfasser*in wird genannt, soweit mir bekannt.
Lass Dich einfach drauf ein.
Falls Du ein Lieblingsgedicht hast, schreib mir gern welches und warum. Das würde mich sehr freuen.
Ich lasse mich gern begeistern.
Am Ende eines jeden Gedichts kannst Du durch Anklicken des Namens der Dichter*innen mehr über ihn / sie erfahren.
Versuch einer Mahnung - W.F. Heiko Thiele
Der Panther - Rainer Maria Rilke
Meine Seele hat es eilig - Mario de Andrade
Mövenlied - Christian Morgenstern
Du musst das Leben nicht verstehen - Rainer Maria Rilke
Ich hab dich so lieb - Joachim Ringelnatz
Mondnacht - Joseph von Eichendorff
Versuch einer Mahnung
(W.F. Heiko Thiele – 2024)
Von Wahnsinn erfaßt sind Land und Leute
Durch der kreuz und queren Politik.
Ein jeder ist des andren Beute.
Der Irrwitz, scheint’s, gilt heut als chic.
Von allen Seiten dröhnt es heiter,
Was man am besten denken sollt.
Der Dumme wähnt sich als Gescheiter,
Während die Welt zum Abgrund rollt.
Kultur verfällt dem blinden Streben,
Plantechnisch nur im Jetzt zu stehn.
Was einst die Zukunft wird erleben,
Das mag die Nachwelt dann schon sehn.
Doch dieses kann, mein lieber Leser,
Niemals der Sinn des Lebens sein.
Wir sind hier Gäste, nur Verweser.
Es gibt nicht nur den süßen Wein.
Auf manchen Straßen, in den Hallen
Kommt’s einem wieder grauslich vor.
Viel altes Hetzen hört man schallen.
Die Unvernunft im blinden Chor.
Was nunmehr vor knapp hundert Jahren
Hat fast einmal die Welt zerstört,
Das müssen wir heut neu erfahren,
Weil Niemand auf das Warnen hört.
Die einen, die es könnten bannen,
Sie hätten es klar in der Hand,
Die schleichen sich im Streit von dannen
Und bauen Dämme nur auf Sand.
Mit großen Worten ohne Wirkung,
Manch Bürger fühlt sich arg versetzt,
Ist alles das nur eine Stärkung
Für neuen, braunen Sumpf zuletzt.
Oh weh! wie wird mir bang zumute,
Wenn unsereins dies niederschreibt.
Wo ist die Kraft nur, all das Gute,
Das diesen alten Geist vertreibt?
Denn wenn die Augen wir verschließen
Vor jenem letzten Urnengang
Dann werden Waffen wieder schießen.
Kommt unser aller Abgesang!
Den Anfang macht der Klassiker von Rilke
Der Panther - Im Jardin des Plantes, Paris
Der Panther
Im Jardin des Plantes, Paris
Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.
Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.
Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.
Was es ist - Erich Fried
Was es ist
Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe
Eine meiner absoluten Lieblingszeilen:
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt
und der uns hilft zu leben.
Ganz, ganz groß !
Stufen
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
Wir Geretteten
Aus deren hohlem Gebein der Tod schon seine Flöten schnitt,
An deren Sehnen der Tod schon seinen Bogen strich -
Unsere Leiber klagen noch nach
Mit ihrer verstümmelten Musik.
Wir Geretteten,
Immer noch hängen die Schlingen für unsere Hälse gedreht
Vor uns in der blauen Luft -
Immer noch füllen sich die Stundenuhren mit unserem tropfenden Blut.
Wir Geretteten,
Immer noch essen an uns die Würmer der Angst.
Unser Gestirn ist vergraben im Staub.
Wir Geretteten
Bitten euch:
Zeigt uns langsam eure Sonne.
Führt uns von Stern zu Stern im Schritt.
Laßt uns das Leben leise wieder lernen.
Es könnte sonst eines Vogels Lied,
Das Füllen des Eimers am Brunnen
Unseren schlecht versiegelten Schmerz aufbrechen lassen
Und uns wegschäumen -
Wir bitten euch:
Zeigt uns noch nicht einen beißenden Hund -
Es könnte sein, es könnte sein
Daß wir zu Staub zerfallen -
Vor euren Augen zerfallen in Staub.
Was hält denn unsere Webe zusammen?
Wir odemlos gewordene,
Deren Seele zu Ihm floh aus der Mitternacht
Lange bevor man unseren Leib rettete
In die Arche des Augenblicks.
Wir Geretteten,
Wir drücken eure Hand,
Wir erkennen euer Auge -
Aber zusammen hält uns nur noch der Abschied,
Der Abschied im Staub
Hält uns mit euch zusammen.
Meine Seele hat es eilig
Ich habe meine Jahre gezählt und festgestellt, dass ich weniger Zeit habe, zu leben, als ich bisher gelebt habe.
Ich fühle mich wie dieses Kind, das eine Schachtel Bonbons gewonnen hat: die ersten isst es mit Vergnügen, aber als es merkt, dass nur noch wenige übrig sind, begann es, sie wirklich zu genießen.
Ich habe keine Zeit für endlose Konferenzen, bei denen die Statuten, Regeln, Verfahren und internen Vorschriften besprochen werden,
in dem Wissen, dass nichts erreicht wird.
Ich habe keine Zeit mehr, absurde Menschen zu ertragen , die ungeachtet ihres Alters nicht gewachsen sind.
Ich habe keine Zeit mehr, mit Mittelmäßigkeiten zu kämpfen.
Ich will nicht in Besprechungen sein, in denen aufgeblasene Egos aufmarschieren.
Ich vertrage keine Manipulierer und Opportunisten.
Mich stören die Neider, die versuchen, Fähigere in Verruf zu bringen,
um sich ihrer Positionen, Talente und Erfolge zu bemächtigen.
Meine Zeit ist zu kurz um Überschriften zu diskutieren.
Ich will das Wesentliche, denn meine Seele ist in Eile.
Ohne viele Süßigkeiten in der Packung.
Ich möchte mit Menschen leben, die sehr menschlich sind.
Menschen, die über ihre Fehler lachen können,
die sich nichts auf ihre Erfolge einbilden.
Die sich nicht vorzeitig berufen fühlen und die nicht vor ihrer Verantwortung fliehen.
Die, die menschliche Würde verteidigen und die nur an der Seite der Wahrheit und Rechtschaffenheit gehen möchten.
Es ist das, was das Leben lebenswert macht.
Ich möchte mich mit Menschen umgeben, die es verstehen, die Herzen anderer zu berühren.
Menschen, die durch die harten Schläge des Lebens lernten,
durch sanfte Berührungen der Seele zu wachsen.
Ja, ich habe es eilig, ich habe es eilig,
mit der Intensität zu leben, die nur die Reife geben kann.
Ich versuche, keine der Süßigkeiten,
die mir noch bleiben, zu verschwenden.
Ich bin mir sicher, dass sie köstlicher sein werden,
als die, die ich bereits gegessen habe.
Mein Ziel ist es, das Ende zufrieden zu erreichen, in Frieden mit mir, meinen Lieben und meinem Gewissen.
Wir haben zwei Leben und das zweite beginnt,
wenn du erkennst, dass du nur eins hast.
--
(San Paolo 1893-1945) Dichter, Schriftsteller, Essayist und Musikwissenschaftler.
Einer der Gründer der brasilianischen Moderne.
Möwenlied
Die Möwen sehen alle aus,
als ob sie Emma hießen.
Sie tragen einen weißen Flaus
und sind mit Schrot zu schießen.
Ich schieße keine Möwe tot,
ich lass sie lieber leben --
und füttre sie mit Roggenbrot
und rötlichen Zibeben.
O Mensch, du wirst nie nebenbei
der Möwe Flug erreichen.
Wofern du Emma heißest, sei
zufrieden, ihr zu gleichen.
(aus "Galgenlieder")
Christian Morgenstern
(* 06.05.1871, † 31.03.1914)
Du musst das Leben nicht verstehen
Du musst das Leben nicht verstehen,
dann wird es werden wie ein Fest.
Und lass dir jeden Tag geschehen
so wie ein Kind im Weitergehen
von jedem Wehen
sich viele Blüten schenken lässt.
Sie aufzusammeln und zu sparen,
das kommt dem Kind nicht in den Sinn.
Es löst sie leise aus den Haaren,
drin sie so gern gefangen waren,
und hält den lieben jungen Jahren
nach neuen seine Hände hin.
Ich habe dich so lieb
Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
Schenken.
Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.
Vorbei - verjährt -
Doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
Ist leise.
Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.
Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.
Ich habe dich so lieb.
(* 07.08.1883, † 17.11.1934)
Mondnacht
Es war, als hätt der Himmel
die Erde still geküsst,
dass sie im Blütenschimmer
von ihm nun träumen müsst.
Die Luft ging durch die Felder,
die Ähren wogten sacht,
es rauschten leis die Wälder,
so sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande,
als flöge sie nach Haus.
1788-1857