top of page

GedichteWelt

Vorweg eine große Entschuldigung: die GedichteWelt ist auf der HandyVersion falsch konfiguriert, ich habe noch keine Lösung dafür. Daher: am Besten am Tablet oder PC.

Manchmal geht es mir so, dass ich ein Gedicht lese und es haut mich um.

Ich bin beeindruckt, berührt, gefesselt. Manchmal macht es mich auch fassungslos oder betroffen, oder es geht mir an die Nieren und unter die Haut.

Dann denke ich: "Mensch, merk es dir!"

und vergesse es dann wieder ....

Daher die Idee, die Gedichte zu sammeln.

Dies habe ich jetzt - in Anfängen - in die Tat umgesetzt.

Der Verfasser*in wird genannt, soweit mir bekannt.

 

Lass Dich einfach drauf ein.

Falls Du ein Lieblingsgedicht hast, schreib mir gern welches und warum. Das würde mich sehr freuen.

Ich lasse mich gern begeistern.

Am Ende eines jeden Gedichts kannst Du durch Anklicken des Namens der Dichter*innen mehr über ihn / sie erfahren.

Gedichtewelt.jpg
Spikes
Versuch

Versuch einer Mahnung

(W.F. Heiko Thiele – 2024)

 

Von Wahnsinn erfaßt sind Land und Leute

Durch der kreuz und queren Politik.

Ein jeder ist des andren Beute.

Der Irrwitz, scheint’s, gilt heut als chic.

Von allen Seiten dröhnt es heiter,

Was man am besten denken sollt.

Der Dumme wähnt sich als Gescheiter,

Während die Welt zum Abgrund rollt.

 

Kultur verfällt dem blinden Streben,

Plantechnisch nur im Jetzt zu stehn.

Was einst die Zukunft wird erleben,

Das mag die Nachwelt dann schon sehn.

Doch dieses kann, mein lieber Leser,

Niemals der Sinn des Lebens sein.

Wir sind hier Gäste, nur Verweser.

Es gibt nicht nur den süßen Wein.

 

Auf manchen Straßen, in den Hallen

Kommt’s einem wieder grauslich vor.

Viel altes Hetzen hört man schallen.

Die Unvernunft im blinden Chor.

Was nunmehr vor knapp hundert Jahren

Hat fast einmal die Welt zerstört,

Das müssen wir heut neu erfahren,

Weil Niemand auf das Warnen hört.

 

Die einen, die es könnten bannen,

Sie hätten es klar in der Hand,

Die schleichen sich im Streit von dannen

Und bauen Dämme nur auf Sand.

Mit großen Worten ohne Wirkung,

Manch Bürger fühlt sich arg versetzt,

Ist alles das nur eine Stärkung

Für neuen, braunen Sumpf zuletzt.

 

Oh weh! wie wird mir bang zumute,

Wenn unsereins dies niederschreibt.

Wo ist die Kraft nur, all das Gute,

Das diesen alten Geist vertreibt?

Denn wenn die Augen wir verschließen

Vor jenem letzten Urnengang

Dann werden Waffen wieder schießen.

Kommt unser aller Abgesang!

Den Anfang macht der Klassiker von Rilke

Der Panther - Im Jardin des Plantes, Paris

Panther.jpg

Der Panther

Im Jardin des Plantes, Paris

Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

Panther
Wasesist

Was es ist - Erich Fried

annie-spratt-fDghTk7Typw-unsplash.jpg

Was es ist

Es ist Unsinn
sagt die Vernunft
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist Unglück
sagt die Berechnung
Es ist nichts als Schmerz
sagt die Angst
Es ist aussichtslos
sagt die Einsicht
Es ist was es ist
sagt die Liebe

Es ist lächerlich
sagt der Stolz
Es ist leichtsinnig
sagt die Vorsicht
Es ist unmöglich
sagt die Erfahrung
Es ist was es ist
sagt die Liebe

 

Erich Fried (1921-1988)

Stufen

Eine meiner absoluten Lieblingszeilen:

Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, der uns beschützt

und der uns hilft zu leben.

Ganz, ganz groß ! 

Screenshot_2022-05-12-18-13-29-278_com.whatsapp.jpg

Stufen 

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

 

Hermann Hesse (1877-1962)

Geretteten
fantasy-g139a0ebee_1920.jpg

Wir Geretteten

Aus deren hohlem Gebein der Tod schon seine Flöten schnitt,

An deren Sehnen der Tod schon seinen Bogen strich -

Unsere Leiber klagen noch nach

Mit ihrer verstümmelten Musik.

Wir Geretteten,

Immer noch hängen die Schlingen für unsere Hälse gedreht

Vor uns in der blauen Luft -

Immer noch füllen sich die Stundenuhren mit unserem tropfenden Blut.

Wir Geretteten,

Immer noch essen an uns die Würmer der Angst.

Unser Gestirn ist vergraben im Staub.

Wir Geretteten

Bitten euch:

Zeigt uns langsam eure Sonne.

Führt uns von Stern zu Stern im Schritt.

Laßt uns das Leben leise wieder lernen.

Es könnte sonst eines Vogels Lied,

Das Füllen des Eimers am Brunnen

Unseren schlecht versiegelten Schmerz aufbrechen lassen

Und uns wegschäumen -

Wir bitten euch:

Zeigt uns noch nicht einen beißenden Hund -

Es könnte sein, es könnte sein

Daß wir zu Staub zerfallen -

Vor euren Augen zerfallen in Staub.

Was hält denn unsere Webe zusammen?

Wir odemlos gewordene,

Deren Seele zu Ihm floh aus der Mitternacht

Lange bevor man unseren Leib rettete

In die Arche des Augenblicks.

Wir Geretteten,

Wir drücken eure Hand,

Wir erkennen euer Auge -

Aber zusammen hält uns nur noch der Abschied,

Der Abschied im Staub

Hält uns mit euch zusammen.

 

Nelly Sachs (1891- 1970)

Sphere on Spiral Stairs

Meine Seele hat es eilig 

Ich habe meine Jahre gezählt und festgestellt, dass ich weniger Zeit habe, zu leben, als ich bisher gelebt habe.
Ich fühle mich wie dieses Kind, das eine Schachtel Bonbons gewonnen hat: die ersten isst es mit Vergnügen, aber als es merkt, dass nur noch wenige übrig sind, begann es, sie wirklich zu genießen.
Ich habe keine Zeit für endlose Konferenzen, bei denen die Statuten, Regeln, Verfahren und internen Vorschriften besprochen werden,

in dem Wissen, dass nichts erreicht wird.
Ich habe keine Zeit mehr, absurde Menschen zu ertragen , die ungeachtet ihres Alters nicht gewachsen sind.
Ich habe keine Zeit mehr, mit Mittelmäßigkeiten zu kämpfen.
Ich will nicht in Besprechungen sein, in denen aufgeblasene Egos aufmarschieren.
Ich vertrage keine Manipulierer und Opportunisten.
Mich stören die Neider, die versuchen, Fähigere in Verruf zu bringen,

um sich ihrer Positionen, Talente und Erfolge zu bemächtigen.
Meine Zeit ist zu kurz um Überschriften zu diskutieren.

Ich will das Wesentliche, denn meine Seele ist in Eile.

Ohne viele Süßigkeiten in der Packung.

Ich möchte mit Menschen leben, die sehr menschlich sind.
Menschen, die über ihre Fehler lachen können,

die sich nichts auf ihre Erfolge einbilden.
Die sich nicht vorzeitig berufen fühlen und die nicht vor ihrer Verantwortung fliehen.
Die, die menschliche Würde verteidigen und die nur an der Seite der Wahrheit und Rechtschaffenheit gehen möchten.
Es ist das, was das Leben lebenswert macht.
Ich möchte mich mit Menschen umgeben, die es verstehen, die Herzen anderer zu berühren.
Menschen, die durch die harten Schläge des Lebens lernten,

durch sanfte Berührungen der Seele zu wachsen.

Ja, ich habe es eilig, ich habe es eilig,

mit der Intensität zu leben, die nur die Reife geben kann.
Ich versuche, keine der Süßigkeiten,

die mir noch bleiben, zu verschwenden.
Ich bin mir sicher, dass sie köstlicher sein werden,

als die, die ich bereits gegessen habe.
Mein Ziel ist es, das Ende zufrieden zu erreichen, in Frieden mit mir, meinen Lieben und meinem Gewissen.
Wir haben zwei Leben und das zweite beginnt,

wenn du erkennst, dass du nur eins hast.
--

Gedicht von Mario de Andrade

(San Paolo 1893-1945) Dichter, Schriftsteller, Essayist und Musikwissenschaftler.
Einer der Gründer der brasilianischen Moderne.

Sehr gute Rezitation von 

"Meine Seele hat es eilig"

schau und höre selbst. 

MeineSeele

Möwenlied

 

Die Möwen sehen alle aus,

als ob sie Emma hießen.

Sie tragen einen weißen Flaus

und sind mit Schrot zu schießen.

 

Ich schieße keine Möwe tot,

ich lass sie lieber leben --

und füttre sie mit Roggenbrot

und rötlichen Zibeben.

 

O Mensch, du wirst nie nebenbei

der Möwe Flug erreichen.

Wofern du Emma heißest, sei

zufrieden, ihr zu gleichen.

 

(aus "Galgenlieder")

 

Christian Morgenstern
(* 06.05.1871, † 31.03.1914)

Moeven
Lebenverstehen

Du musst das Leben nicht verstehen

Du musst das Leben nicht verstehen,

dann wird es werden wie ein Fest.

Und lass dir jeden Tag geschehen

so wie ein Kind im Weitergehen

von jedem Wehen

sich viele Blüten schenken lässt.

Sie aufzusammeln und zu sparen,

das kommt dem Kind nicht in den Sinn.

Es löst sie leise aus den Haaren,

drin sie so gern gefangen waren,

und hält den lieben jungen Jahren

nach neuen seine Hände hin.

Rainer Maria Rilke (1875-1926)

Ich habe dich so lieb

 

Ich habe dich so lieb!

Ich würde dir ohne Bedenken

Eine Kachel aus meinem Ofen

Schenken.

 

Ich habe dir nichts getan.

Nun ist mir traurig zu Mut.

An den Hängen der Eisenbahn

Leuchtet der Ginster so gut.

 

Vorbei - verjährt -

Doch nimmer vergessen.

Ich reise.

Alles, was lange währt,

Ist leise.

 

Die Zeit entstellt

Alle Lebewesen.

Ein Hund bellt.

Er kann nicht lesen.

Er kann nicht schreiben.

Wir können nicht bleiben.

 

Ich lache.

Die Löcher sind die Hauptsache

An einem Sieb.

Ich habe dich so lieb.

 

Joachim Ringelnatz

(* 07.08.1883, † 17.11.1934)

solieb
Mondnacht
Vollmond

Mondnacht

Es war, als hätt der Himmel
die Erde still geküsst,
dass sie im Blütenschimmer
von ihm nun träumen müsst.


Die Luft ging durch die Felder,
die Ähren wogten sacht,
es rauschten leis die Wälder,
so sternklar war die Nacht.


Und meine Seele spannte
weit ihre Flügel aus,
flog durch die stillen Lande,
als flöge sie nach Haus.

 

Joseph von Eichendorff

1788-1857

bottom of page