CarmensWebWelt
Bücher. Kann man ohne Bücher leben ?
Ich jedenfalls nicht.
Hier meine Empfehlungen für Dich.
Wolfssommer - Hans Rosenfeldt
Am Ende aller Zeiten - Adrian J. Walker
Ein König für Deutschland - Andreas Eschbach
Die Leuchtturmwärter - Emma Stonex
Die Anomalie - Hervé le Tellier
Blackout Island - Sigridur Hagalin Björnsdottir
Stewart O´Nan - Das Glück der anderen
John Ironmonger - Der Wal und das Ende der Welt
Marc Chagall - Sternstunden
Dirk Rossmann - Der neunte Arm des Oktopus
Joy Fielding - Nur wenn du mich liebst
Harlan Coben - Ich schweige für dich
Jimi Blue Ochsenknecht - Kochen ist easy
Isabel Bogdan - Der Pfau
Lars Mytting - Die Glocke im See
Jürgen Heimlich - Erneuerung in Zeiten von Corona
Stephan M. Rother - Ich bin der Herr deiner Angst
Bernd Schwarze - Mein Wille geschehe
Erich Fromm - Die Kunst des Liebens
Rezension Hans Rosenfeldt – Wolfssommer
Ein Buch wie ein Quentin Tarantino Film. Rasant, skurril, ungewöhnlich. Rosenfeldt schreibt spröde und schlicht. Stellt seine Charaktere genauso – vermeintlich negativ - dar, wie sie sind. Beschönigt nichts, lässt nichts aus, legt jeden Frevel, jeden Zweifel, jede Feigheit und jeden Mut offen.
In der schwedischen Kleinstadt Haparanda, im hohen Norden, direkt an der Grenze zu Finnland, weit weg von Stockholm, Helsinki oder Sankt Petersburg, spielt die Geschichte. Die Einöde, die Tristes, die Farblosigkeit kann auch die durch die langen, weißen Nächte nicht gerettet werden. Man spürt das Schlafen und das Siechtum der Stadt. Der Autor lässt immer mal wieder Kapitel aus der Sicht der Stadt erzählen. Was etwas seltsam klingt, passt gut in den Erzählfluss des Buches. Genauso wie das erste Kapitel, indem wir den Weg einer verendenden Wölfin begleiten. Diese Perspektive und Wahrnehmung fand ich erstaunlich. Mal ganz anders.
Die Wölfin wurde vergiftet, weil auch in Schweden Wölfe unter Artenschutz stehen, wird sie obduziert. In ihr finden die Pathologen menschliche Überreste. Aus dem Ort wird niemand vermisst, dennoch ist man besorgt. Wer ist der Tote? Zufällig wird die Leiche gefunden. Zwar offensichtlich überfahren, doch auch mit Schusswunden hingestreckt. Die Umstände deuten auf einen geplatzten Drogendeal hin. Hannah Wester, vor vielen Jahren aus der Großstadt in diese ländliche Region gezogen, übernimmt hier mit ihren Kollegen die Ermittlungen. Hannah trägt schwer an ihrer Vergangenheit, die sich nach und nach zeigt. Hannah ist launisch, eigenbrötlerisch, schweigsam. Zuweilen ungerecht gegen Ehemann, Kollegen und Geliebten. Hannah erwartet nichts von niemanden und erfüllt auch die Erwartungen der Menschen um sie herum nur widerwillig. Nur ein wohlgesonnener Chef lässt ihr diese Eigenwilligkeiten durchgehen.
Rosenfeldt spinnt um diesen Drogendeal ein Netz aus ganz gewöhnlichen Menschen, die plötzlich in etwas verwickelt sind, das ihr Leben verändert. Da sind die kleinen Leute, die das große Geld wittern. Die die Drogen auf eigenen Rechnung verticken wollen, die sich davon ihr persönliches Glück erkaufen wollen.
Da ist der Mechaniker, UV genannt, ehemaliger Straffälliger, der seiner Familie zuliebe wieder auf den rechten Weg gefunden hat. Doch er hat eine schwerstkranke Tochter und die Pflegestelle hat die Gelder gekürzt und seine Frau und er drehen nervlich, gesundheitlich und finanziell am Rad, laufen am Limit, und sie möchte auch noch ein zweites Kind und er weiß nicht, wie er das alles hinbekommen soll. UV weiß, wer die Drogen und das Geld jetzt hat, er erpresst denjenigen. Doch dann kommt alles anders. Plötzlich soll er seine alten Kontakte wieder spielen lassen und die Drogen verkaufen. Vom Erlös kann er eine erträgliche Summe behalten, die ihm viele Jahre finanzielle Unbeschwertheit verspricht.
Ausgerechnet die Gefängniswärterin Sandra übergibt ihm die Tasche mit den Drogen. Sie ist die Freundin von Kenneth, dem Mann, den er erpresst hat. Wieso spielen beide ihr eigenes Spiel? Diese kleinen, feinen Verwicklungen machen das Buch so liebens- und lesenswert.
Selbstredend wollen die Drogenhändler ihr Geld und ihre Drogen zurück. Sie schicken eine Profikillerin, um beides wieder zu beschaffen und alle Beteiligten zu liquidieren, keine Spuren sollen hinterlassen werden. Die Frau mit den vielen Namen und Gesichtern, nennen wir sie Katja, wurde seit Kindheitstagen in Russland dazu ausgebildet, genau das zu tun, zu töten. Allerdings kommt ihr die Dorfjugend in die Quere und sie löscht auf einen Streich nur mit einem Messer fünf Leben aus. Das wiederum versetzt die Polizei in höchste Besorgnis. Was geht hier vor? Da die Drogenhändler aus Finnland stammen wird ein finnischer Kollege hinzugezogen, der sich allerdings als Maulwurf für die Bösen entpuppt. Da verrate ich an dieser Stelle nicht zu viel. Katja muss sich mühsam die losen Enden zusammensuchen, die der Leser bereits sieht. Vor dem Leser liegt die ganze Geschichte dar, wie ein Puzzle, fügt sie sich Teilchen für Teilchen aneinander.
Bei jedem neuen Kapitel denkt man, oh No, das kann doch nicht wahr sein. Schon wieder ein Umstand, der jemanden zum Verhängnis wird. Die logische Abfolge von Entscheidungen macht hier das Lesevergnügen aus. Entscheidungen, die falsch sind, die Unrecht sind, die verhängnisvoll sind. Alles wird immer wieder auf Hannah als roten Faden zurückgeworfen. Sie ist hier die, die in der Mitte des Puzzles steht und versucht ein Gesamtbild zu entwerfen.
Für mich war faszinierend zu lesen, wie ganz normale Menschen zu Verbrechern werden. Wie labile Menschen mutig werden, wie liebende Menschen Schweres ertragen, wie gute Menschen den Tod finden, weil sie meinen, etwas gegen das Böse tun zu können.
Wolfssommer ist in sich schlüssig und gut in einem Flow zu lesen. Auch wenn es stellenweise recht brachial anmutet, ist es nicht brutal. Alles, was die Charaktere tun, ist aus deren Sicht nachvollziehbar. Oft nur aus deren Sicht. Es liegen Verzweiflung, Einsamkeit, fehlende Empathie, Resignation und Wut in der Luft. Alles findet ein Ventil. Meiner Meinung nach ist Hans Rosenfeldt hier ein grandioser Krimi gelungen.
Die Anomalie – Hervé le Tellier
Da ich zugegebenen Maßen kein Freund französischer Literatur bin, habe ich mich diesem Werk vorsichtig genähert. Dank der großartigen Übersetzung von Jürgen und Romy Ritte war es mir gut möglich, mich mit dem Buch anzufreunden.
Was ist das für ein Buch? Ein Krimi? nicht wirklich. Eine Science-Fiction-Geschichte? auch nicht wirklich. Episodische Lebensgeschichten? vielleicht schon eher.
Worum geht es? Ein Flugzeug samt Insassen wird dupliziert, geklont, reproduziert. Das ist die Story.
Im März 2021 fliegt eine Boeing von Paris nach New York, es kommt zu schweren Turbulenzen, alle sind geschockt, landen aber unversehrt. Dann geschieht das unfassbare: 100 Tage später fliegt genau dieselbe Maschine mit genau denselben Menschen an Bord wieder die Strecke Paris – New York. Auch diese Maschine gerät in Turbulenzen, auch hier geht es gerade nochmal gut.
Als David, der Pilot des zweiten Flugs, sich auf dem Flughafen ankündigt, von dem Unwetter berichtet und um schnelle Landung bittet, folgt langes Schweigen. David soll seine persönlichen Daten angeben, Technisches über das Flugzeug, wie viele Leute an Bord sind etc. Alles Daten, die die Flugsicherung doch längst wissen müsste? sinniert er. Er hält das Vorgehen lange für einen Scherz, bis ihn Abfangjäger zwingen, auf einen entlegenen Militärflughafen zu landen. Allen Insassen werden sämtliche elektronischen Geräte abgenommen und es herrscht Verwirrung. Die Erschöpfung des anstrengenden Flugs steckt allen in den Gliedern und eigentlich will man nur nach Hause. Stattdessen werden sie in einen großen Hangar geführt, dort hat man Schlafplätze, Sanitäranlagen, Feldküchen und sogar Spielplätze aufgebaut. Den Passagieren wird erzählt, sie seien Opfer eines Angriffs geworden, möglicherweise ein biologischer oder ein Hackerangriff, und deshalb müssen sie jetzt diese Vorgehensweise über sich ergehen lassen. Es werden Kontaktdaten und Persönliches abgeglichen und es werden - zur allgemeinen Verwunderung - Blutproben genommen. Der Unmut wächst, darf das überhaupt sein? Ist das rechtlich haltbar? Wir werden doch erwartet.
Le Tellier erzählt die Geschichten von scheinbar ganz normalen Menschen. Menschen, wie du und ich, mit ihren Leben, ihren Abgründen, ihren Krankheiten und ihren Geheimnissen. Wir begegnen einem afrikanischen Popstar genauso wie einem Auftragskiller. Okay, beide nicht unbedingt wie du und ich, aber auch Teile unserer Gesellschaft. Wir begegnen aber eben auch einer Anwältin genauso wie einem 6-jährigen Mädchen. Einem Schriftsteller genauso wie der jungen Mutter eines kleinen Sohnes.
In Windeseile hat das amerikanische Militär die abgelegene Basis präpariert, um dieses zweite Flugzeug von der Öffentlichkeit abzuschirmen. Seit 9/11 gibt es zig Worst-Case-Szenarien, von Wissenschaftlern entworfen, für alle gewöhnlichen und ungewöhnlichen Zwischenfälle in Zusammenhang mit der Flugsicherung. Dieser Fall ist allerdings neu und völlig absurd und stellt für alle beteiligten Personen eine noch nie dagewesene Herausforderung dar.
Adrian, ein etwas verpeilter Mathematik-Professor, bekommt den Hut aufgesetzt und soll das Chaos koordinieren. Es stehen ihm alle Mittel zur Verfügung und er berichtet dem Präsidenten persönlich. Zuallererst muss klargestellt sein, dass es sich wirklich um dieselben Personen und dieselbe Maschine handelt. Bei letztem ist das anhand technischer Daten kein Problem, bei den Menschen wird das schon schwieriger. Das Militär spürt alle 243 Insassen auf, die in der Maschine im März gewesen sind, nimmt ihnen Blutproben ab, stellt ihnen persönliche Fragen, durchleuchtet sie. Anhand der DNA ist unumstritten, dass es dieselben Menschen sind. Ungläubige Fassungslosigkeit macht sich breit. Der Krisenstab wird rasant ausgeweitet mit allem, was die Welt an Kompetenz zu bieten hat. Neben Quantenphysikern und Molekularbiologen holt man auch Astrophysiker und Philosophen mit an Bord. Geballtes Wissen, welches erklären soll, was hier geschehen ist. Es gibt keine Antwort, es gibt zig Theorien, die aber eben auch nichts anderes sind als Theorien. Währenddessen werden die Flugzeuginsassen immer unruhiger, wollen Erklärungen.
Die Geheimhaltung des ganzen ist nicht so einfach wie man sich das erhofft hat und die Staatschefs der anderen Nationen, die Passagiere an Bord haben, müssten auch informiert werden. Aber, was sagt man?
Kurzum, eine Erklärung, eine Lösung, wird im Buch nicht gegeben, damit verrate ich nicht zu viel. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein Raumkontinuum handelt, in Verbindung mit dem Bose-Einstein-Kondensat, das besagt, dass sich verschiedene Mini-Teilchen delokalisierten, klingt für die drei Menschen, die das verstehen, logisch. Die Physik dahinter ist für die Geschichte aber auch nicht wichtig.
Die Geschichten der einzelnen Menschen sind wichtig.
Der Krisenstab entschließt sich, die Menschen aus dem Flugzeug, welches im März gelandet ist, mit denen aus dem Flugzeug im Juni zusammen zu bringen. March begegnet June.
So trifft die junge Frau Lucie March auf die junge Frau Lucie June. Psychologen begleiten das Zusammentreffen und es entwickeln sich bei den unterschiedlichen Charakteren ganz unterschiedliche Szenarien. Lucies größte Sorge war z.B., was ihr Sohn jetzt davon hält, dass es sie zweimal gibt? Der kleine Mann steckt das wiederum sehr cool weg.
Oder Blake, seines Zeichens Auftragskiller, konnte von der Basis fliehen und hat sein Alter-Ego gefunden. Natürlich darf, wie im März, aber niemand dahinterkommen, welchen Beruf er ausübt.
Oder die kleine Sophie, die im Mai ihren 7. Geburtstag gefeiert hat und jetzt verwirrt ist, weil sie einmal ihren Geburtstag schon gefeiert hat, nämlich die Sophie March und einmal noch nicht, denn die Sophie June denkt ja, es sei noch März.
Es scheint verwirrend zu lesen, dem ist aber nicht so. Durch die Zeitangaben und die Formulierungen - Person March und Person June – ist immer klar, um wen es wann geht.
Krass sind u.a. die Geschichten von David, dem Piloten, der bei seiner zweiten Landung im Juni schon nicht mehr am Leben ist. Bei ihm ist kurz vor Abflug im März ein bösartiger Tumor diagnostiziert worden und seine Frau wird schier verrückt vor Schmerz, als sie ihn nun wieder sieht. Denn es ist klar, der Tumor ist nicht weg. Der Weg zum Tod steht beiden erneut bevor.
Oder der Schriftsteller Viktor, der im April Selbstmord begangen hat und nun wieder auftaucht.
Diese ganzen kleinen persönlichen Geschichten bilden zusammen diese wunderbare große Geschichte.
Die Theorien, die gesponnen werden, regen zum Nachdenken an.
Sind wir real? Sind wir vielleicht nur ein Programm? Spielt irgendjemand, irgendetwas, mit uns? Gott oder Teufel? Welches Recht haben die zweiten Erscheinungen, genauso zu leben, wie die ersten ? Wie erklärt man das?
Le Tellier verknüpft hier religiöse Erklärungen mit philosophischen Betrachtungen und verwebt Astrophysik mit kühnen Visionen.
Das Ende hält noch einen überraschenden Plot bereit und eines sei noch gesagt, auch wenn es alles sehr fiktiv klingt, ist es sehr realistisch geschrieben.
Ich war lange nicht so gefesselt von einem Buch. Lesen!
Februar 2022
Blackout Island – Sigridur Hagalin Björnsdottir
Das Buch hat mich auf seltsame Weise berührt und mitgenommen.
Niemand ist eine Insel, dachte ich bislang. Falsch gedacht. Island ist eine Insel und hier spielt die Geschichte. Das Buch ist bereits 2018 erschienen. Die Parallelen zur Corona-Pandemie sind aus heutiger Sicht unverkennbar. Waren aber von der zeitlichen Abfolge her wohl beim Schreiben noch nicht zu erahnen.
Björnsdottir schreibt in klarer, schnörkelloser Sprache. Sie schildert Details fast emotionslos und schlicht, dadurch wirkt das ganze Geschehen auf mich noch drastischer, real.
Stell dir vor, die Kommunikation zur Außenwelt ist abgeschnitten. Mehr noch, ein ganzes Land ist von der Außenwelt abgeschnitten. Island ist von der Außenwelt abgeschnitten. Alles, was online ins Netz gestellt wird, kann man noch empfangen und lesen, im Inland telefonieren geht auch noch, aber das www ist über die Landesgrenzen hinaus tot. Ausländische Seiten können nicht aufgerufen werden, keine Verbindung zu anderen Servern, telefonisch ist niemand außerhalb Islands zu erreichen. Dieses Szenario spielt die Autorin gnadenlos durch. Sie geht noch weiter. Es kommen auch keine Signale rein. Flugzeuge fliegen Island nicht mehr an, Schiffe landen nicht mehr im sicheren Heimathafen und niemand auf der Insel weiß, wo die Menschen im Flieger oder auf dem Schiff geblieben sind.
Es scheint, als liege Island unter einer Glocke. Bei ausfahrenden Schiffen bricht nach einigen Seemeilen der Kontakt ab, abhebenden Flugzeuge verschwinden einfach vom Radar. Die Regierung spricht von „technischen Defekten“ an allen fünf Überseekabeln, man suche die Fehler und werde eine Lösung finden.
Im Buch begleiten wir den Journalisten Hjalti auf seinem Weg durch diese Zeit. Ungläubig nimmt man in seiner Zeitungsredaktion diese neue Wirklichkeit wahr. Kann das sein, was da gerade passiert? Ist es denkbar, dass so ein zivilisiertes, technisiertes Land wie Island einfach so abgehängt wird? Warum und von wem?
Darauf gibt das Buch keine Antworten. Das schadet der Erzählung nicht, denn darum geht es der Autorin nicht.
Björnsdottir beschreibt, was mit den Menschen geschieht. Mit den Menschen im Umfeld von Hjalti und mit ihm selbst. Der Minister ist auf einem Auslandsbesuch und kann nicht zurück nach Island, deswegen übernimmt seine Stellvertreterin, eine Schulfreundin von Hjalti, seinen Posten und regiert das Land. Als dieser Ausnahmezustand auch nach Woche noch nicht aufgehoben ist, fasst sie alle Ministerien zusammen und übernimmt mit Hilfe der Polizei und den s.g. Rettungsmännern, die Macht. Einem Widerstand der „freien Wähler“ stellt sie sich entgegen und bagatellisiert die Situation. Die Lage sei unter Kontrolle und wer jetzt Neuwahlen fordere will nur das Verderben Islands. Hjalti wird ihr Gehilfe. Er verbreitet durch seine Artikel die Meinung der Regierung. Immer unter dem Deckmantel keine Unruhen zu schüren und keine Anarchie zu provozieren. Lange glaubt er, das richtige zu tun. Dabei wird auch in seiner Redaktion kontrovers diskutiert. Wann hört Pressefreiheit auf? Dürfen Ereignisse bewusst verschwiegen werden, wenn sie angeblich dem Gemeinwohl schaden? Darf die Regierung entscheiden, wie viel Wahrheit ihren Bürgern zugemutet werden kann?
Die Situation spitzt sich zu, als die Lebensmittel knapp werden. Das wirtschaftliche Leben kommt komplett zum Erliegen und auch mit dem Tauschhandel geht es nicht lange gut. Wer braucht schon technische Geräte, wenn er hungert? Wer eine teure Armbanduhr, wenn er nichts zu essen hat? Die Idee der neuen Präsidentin ist, dass man sich auf die uralten, historischen Möglichkeiten Islands besinnt. Ackerbau und Viehzucht, Selbstversorgen, wo immer es möglich ist. Autak zu leben und zu wirtschaften. Da werden Angestellte zur Feldarbeit verpflichtet und Banker in den Stall geschickt. Jetzt sind die Bauern die Helden. Sie sind nun die größten und wichtigsten Arbeitgeber, und nutzen diese Macht zum Teil auch reichlich aus.
Hjalti macht lange seine Augen vor dem wachsenden Ungleichgewicht zu und denkt, dass die Verteilung der Lebensmittel schon funktionieren wird, dass sich alles einspielen wird. Er selbst hat seinen Job bei der Zeitung aufgegeben und ist nun eine Art Pressesprecher der Präsidentin. Somit profitiert er von den Annehmlichkeiten der Regierungsmitarbeiter. Er hat eine warme Wohnung und auch genug zu essen. Island ist klein und hat kaum Chancen alle Menschen, die im Land sind, zu ernähren. Deutlich wird das an der Beschreibung von Hjalti´s Ex-Freundin Maria, sie ist Geigerin beim Staatsorchester. Aber Kultur braucht kein Mensch mehr. Nicht, wenn er nicht weiß, was er den nächsten Tag essen soll. Zudem ist Maria zwar Isländerin aber eindeutig keine arische, sie kommt aus Spanien und diese Wurzeln sieht man ihr auch an, zudem hat sie einen Sohn dunkler Hautfarbe. Für Ausländer gibt es noch weniger Essen und auch keinen Platz mehr auf der Insel. Hjalti ist entsetzt, als er mitbekommt, wie es den normalen Menschen geht. Er ist entsetzt, als er erfährt, was mit den Ausländern, ob dort lebend oder als Touristen im Land, geschieht. Marias Tochter, gerade im Teenager-Alter, läuft nach einem Streit von Zuhause weg und schließt sich einer Gruppe Jugendlicher an, die ein Einkaufszentrum besetzt halten und dort leben. Hjalti versucht sie da herauszuholen, sie dazu zu bewegen wieder zu ihrer Mutter zu gehen. Doch die Tochter will nicht, hier habe sie wenigstens zu essen. Maria flieht schweren Herzens mit ihrem kleinen Sohn ohne die Tochter in eine Landkommune und wähnt sich hier in Sicherheit. Dem ist nicht so.
Hjalti´s Bruder ist Arzt und verzweifelt jeden Tag mehr an der Situation. Es gibt keine Medikamente mehr, kein Verbandszeug. Operationen können nicht mehr stattfinden, die Menschen sterben an den kleinsten Infekten oder Krankheiten. Zudem studieren seine beiden Kinder im Ausland und seine Frau und er verlieren vor Sorge um sie fast den Verstand. Ihm ist sehr wohl bewusst, dass über Vieles nicht berichtet wird und er hat große Angst vor der Zukunft. Die Autorin beschreibt auch neue Alltagssituationen, als zum Beispiel die geliebten Reitpferde von Hjalti´s Bruder zum Verzehr geschlachtet werden oder wie er dazu aufgefordert wird, den Rasen hinter seinem Haus zu mähen. Der Rasenschnitt wird dann ein paar Tage später von den Rettungsmännern abgeholt und aufs Land gebracht als Viehfutter. „Jeder müsse seinen Betrag leisten, damit die Nation überleben kann.“
Das Individuum beugt sich der Masse. Die Intellektuellen beugen sich der Regierung, der Schwache beugt sich dem Starken.
Hjalti versucht dem ganzen Desaster zu entkommen und er geht dabei am Ende ein ungewöhnliches Bündnis ein.
„Blackout Island“ hallt in mir nach. Es bleiben die Fragen, was würde ich in solch einer Situation tun? Was bin ich bereit zu geben? Oder zu nehmen? Korruption, Verrat, Missbrauch? Missbrauch von Macht, Missbrauch von Körpern? Wann fallen die Kultur und der Intellekt dem Hunger und dem Überlebenskampf zum Opfer?
Stewart O´Nan - Das Glück der anderen
Eine Seuche bricht aus und mit ihr das Chaos in einer amerikanischen Kleinstadt. Die Handlung datiere ich Ende des 19. Jahrhunderts. Man lebt sehr ländlich, sehr bescheiden, sehr argwöhnisch, zudem ein brütend heißer Sommer.
Jacob Hansen agiert in seiner Stadt als Pastor, als Bestatter und als Sheriff, in Personalunion. Generell hat er damit kein Problem. Er kann alles voneinander trennen. Bis eben diese Trennungen verwischen. Bis er Entscheidungen treffen muss, die er mit seinem Glauben nicht vereinbaren kann. Die mit der Ethik und dem Respekt vor den Toten nicht einhergehen. Und auch als Sheriff muss er wie ein Richter agieren, was ihm widerstrebt, und er wird notgedrungen, sinnbildlich, auch zum Henker.
Jacob hat sich wohlgefühlt in seiner Welt, in seiner kleinen Stadt, mit seiner kleinen Familie. Er hat zu kämpfen mit Dämonen der Vergangenheit, Kriegserlebnissen, die ihn in seinen Grundfesten immer wieder erschüttern.
Man hat ihn im Ort geachtet, respektiert und geschätzt. Bis die Seuche ausbricht. Bis Jacob nicht mehr weiß, was gut und böse ist, was richtig und falsch. Mit dem Arzt hat er einen Verbündeten, der die Last mit ihm trägt. Aber nicht seine Zweifel. Viel zu spät erst stellen sie das Städtchen, gegen den Widerstand fast aller Bewohner, unter Quarantäne. Binnen fünf Tagen stecken sich die Menschen an, nur wenige sind immun und keiner weiß warum. In sehr klarer aber nicht immer einfacher Sprache schreibt O´Nan, was die Seuche aus Menschen macht, wie sich ihre Verzweiflung in Wut wandelt, wie sich Wut in Aggression umsetzt. O´Nan macht jeden vorgestellten Charakter nachvollziehbar, menschlich, verständlich aus dessen Sicht. Über allem schwebt der Zweifel von Jacob. Er lädt alle Schuld auf sich und weiß doch, dass das nicht stimmt. Er fühlt sich für alles verantwortlich und weiß doch, dass dem nicht so ist. Er möchte allen helfen und weiß doch, dass er das nicht kann. An diesem Punkt angekommen, trifft er Entscheidungen, die ihn fast zerbrechen. So balsamiert er etwa seine tote Familie ein, setzt Frau und Tochter in den Sessel, damit er nicht allein ist. So nagelt er das Haus einer Farmerin zu, deren gesamte Familie bereits von der Seuche dahingerafft wurde, die selbst inzwischen auch Symptome zeigt, aber nicht daheim bleiben will.
Immer wieder ringt Jacob mit sich und seinem Glauben. Es tut einem beim Lesen fast weh, weil man immer denkt, "nein, du hast alles richtig gemacht, so gut du es eben konntest in dieser Ausnahmesituation". Die Ereignisse überschlagen sich. Ein Buschfeuer rast auf die Stadt zu und die Menschen wollen nur noch weg, wollen die Quarantäne um keinen Preis mehr einhalten. Die, die noch gesund sind, wollen vor dem Feuer fliehen. Was tun ? Jacob sieht die Verantwortung auch für die Städte um ihn herum. Wenn nur einer das Virus weiterträgt, was passiert dann in den anderen Städten ? Mit Waffengewalt werden die Leute im Ort gehalten. Der Unmut steigert sich je näher das Feuer kommt. Jacob erkennt, dass seine Taktik falsch war.
Er organisiert ein Treffen aller nicht infizierten Bewohner an einer Bahnstrecke außerhalb der Stadt. Dort kommt jeden Tag ein Güterzug entlang, der soll sie mitnehmen, raus aus der Seuche, raus aus dem Feuer. So ist die Hoffnung. Es bleiben Jacob noch sechs Stunden, bis der Zug die Wegstelle passieren wird. In dieser Zeit will er allen Lebenden Bescheid geben, sie auffordern mitzukommen. Auf seiner Runde durch die Stadt holt ihn das Feuer fast ein, in dramatischer Sprache beschreibt O´Nan, wie die Flammen wüten und wie es sich auf der Haut anfühlt, diese Glut, diese Hitze.
Jacob sucht seine Schäfchen und findet viele von ihnen völlig verängstigt oder tobend oder tot vor. Er möchte sie trösten, findet aber keine Worte mehr. Er möchte sie besänftigen, doch für diese Wut gibt es keinen Dämpfer. Und er möchte sie bestatten, doch dafür fehlt ihm die Zeit.
Jacob´s Seelenpein ist spürbar, es zerreißt ihn, es macht ihn kaputt. Alles lastet auf seinen Schultern. Als der Doktor auch noch an der Seuche stirbt, möchte Jacob sich selbst niederstrecken und einfach nur sterben. Doch seine Verantwortung für die anderen, für das Glück der anderen, hält ihn davon ab. Man wünscht ihm so sehr, dass sein Tun, seine Aufopferung, sein eigenes Leid ein gutes Ende nimmt. Das Ende aber ist grausam und nur schwer auszuhalten.
Stewart O‘Nan geht an die Grenze des Erträglichen. Er führt seinen Leser tief hinein in die Konfrontation von Gehen oder Bleiben, von Helfen oder Unterlassen, von Wir und Ich.
Der Erzählstil ist in der zweiten Person gewählt, sehr ungewöhnlich, so als ob eine andere Person auf Jacob schaut.
„Das Glück der anderen“ hat mich sehr bewegt und berührt und wieder einmal hoffe ich inständig, nicht in die Lage zu kommen, mich entscheiden zu müssen zwischen Egoismus und Allgemeinwohl.
John Ironmonger - Der Wal und das Ende der Welt
Kann ein Buch, das vom Weltuntergang handelt, einen positiven Eindruck hinterlassen ? Kann es den Leser zurücklassen, ohne Beklemmung, ohne Bedenken, ohne Furcht. Ja. „Der Wal und das Ende der Welt“ ist solch ein Buch.
Eine Redakteurin des Bayerischen Rundfunks hat geschrieben, dass dies „eine bezaubernde und philosophische Geschichte über Menschlichkeit, soziales Handeln und eine funktionierende Gemeinschaft“ ist. Das trifft es sehr gut.
Joe, Analyst eine Investmentbank in London, schreibt Programme mit denen er die Wechselwirkung von Ereignisse berechnen kann. Das Sprichwort, „Der Flügelschlag eines Schmetterlings hat am anderen Ende der Welt einen Sturm zur Folge“ ist genau sein Ding. Als der Seniorpartner seiner Bank auf ihn aufmerksam wird, möchte dieser, dass Joe die Komponente „Mensch“ mit in seine Berechnungen einfließen lässt. Dies gelingt nur bedingt, zu unberechenbar scheint doch menschliches Verhalten. Doch es gelingt Joe halbwegs nachvollziehbar mit Algorithmen und Statistiken. Irgendwann wächst Joe das Ganze über den Kopf. Sein Umfeld, seine Arbeit, alles erscheint ihm sinnlos. Als er meint einen für die Bank folgenschweren Fehler begangen zu haben, setzt er sich ins Auto und fährt einfach los. Weiter und weiter, bis an den allerletzten Küstenwinkel Englands. In ein kleines Dorf, eine Straße rein und dieselbe wieder raus. Einsam, abgelegen, fern ab von neuester Kommunikation und Technik. Am nächsten Morgen wird er, nackt und bewusstlos am Strand angespült, von einigen Dorfbewohnern gefunden, die ihn in einem kollektiven Handeln zurück ins Leben holen. Wobei er später immer wieder beteuert, dass er sich nicht umbringen wollte. Joe lässt sich auf das Dorfleben ein, bringt sich ein. Auch durch die eher unfreiwillige Aktion, einen gestrandeten Wal mithilfe aller Dorfbewohner zu retten, gewinnt er deren Herzen und wächst ungewollt über sich hinaus.
Joe erkennt schnell, dass das kleine Gefüge im Ort ähnlich tickt wie das große Weltgefüge, welches er in seiner Arbeitswelt analysiert hat. Zusammenhänge stellen sich heraus, Causalitäten, Notwendigkeiten, die völlig logisch sind. Eine Erkenntnis seiner Analysearbeit war unlängst, dass unsere Erde von einer verhehrenden Pandemie heimgesucht werden wird, eher kurz- als langfristig. Er behält Recht. Deswegen kauft Joe von seinem gesamten Ersparten Vorräte. Dies bleibt natürlich nicht unbemerkt und sehr zur Überraschung der Dorfbewohner sorgt Joe nicht nur für sein eigenes Überleben, sondern legt Vorräte für das gesamte Dorf an. Ist er sich doch sicher, dass nach dem Zusammenbruch der Gesellschaft nur noch die solidarische Gemeinschaft aller Überlebender die erhaltende Lebensform sein kann.
Er muss mit dem Pastor des Dorfes hart verhandeln, damit er die Vorräte in der Kirche einlagern darf. Dieser ist ihm gegenüber skeptisch, weil er befürchtet, Joe hätte etwas mit seiner Frau angefangen. Und wohl auch, weil Joe nicht so recht daran glaube kann, dass Gott die seinen schon nicht verhungern lässt. Ein besonders einfühlsames Kapital ist jenes, indem Joe mit dem Pastor zusammen im Kirchturm verweilen muss, weil sie sich infiziert haben. Die Dialoge, die konträren Weltanschauungen, die Verzweiflung sind spürbar, nachvollziehbar.
Jeder im Ort spielt eine wichtige Rolle, auch wenn nicht jeder das sofort erkennt. Über den Dorfbrunnen bleibt die Trinkwasserversorgung gewährleistet, Fischfang und Milchtierhaltung sorgen für Nahrung. Man schottet sich ab, macht die einzige Zugangsstraße unpassierbar. Im ganzen Ort spielen sich einzelne Geschichten ab, wie man mit der neuen Situation umgeht. Geschichten, die ineinander greifen. Geschichten, die wenig mit den brutalen, heroischen Szenarien anderer Bücher zu tun haben. Die Menschen haben erkannt, dass sie nur zusammen überleben können, gemeinsam, nicht jeder für sich.
Als sich in den Nachbargemeinden herum spricht, dass es hier Vorräte gibt, ist das Entsetzen groß. Wie damit umgehen ? Die Gemeinschaft erweitern oder sich weiter gezielt abschotten ? Ratlosigkeit gepaart mit Hoffnung. Eine interessante Mischung, bei der John Ironmonger nie auf die Idee kommt, drauf zu schlagen, dem anarchischen Trieben Raum zu geben. Er schafft es, diese Situation friedlich zu entschärfen.
Die Pandemie nimmt ein Ende. Die Welt in der wir leben, hat sich verändert.
Dieses Buch hat soviel Wärme und Tiefgang, zeigt soviel Einfühlungsvermögen in die einzelnen Charaktere, dass es tatsächlich das schier Unmögliche schafft: aus einem Endzeitroman ein Buch voller Hoffnung zu machen.
Sternstunden mit Marc Chagall – Claudia und Ulrich Peters
Diesen kleinen, sehr feinen Bildband möchte ich Dir ans Herz legen.
Chagall, wer kennt ihn nicht, diesen großen Namen eines großen Malers ?
Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder ein Bild von ihm kennt, und die allermeisten erkennen auch einen Chagall, wenn sie ihn sehen. So prägnant sind seine Farben, so klar sind die vordergründigen Motive und so viel Interpretationsspielraum lässt er jedem Betrachter.
Chagall ist fast 100 Jahre alt geworden, geboren in Weißrussland 1887, gestorben in seinem geliebten Frankreich 1985. Er hat beide Weltkriege miterlebt, hat Erlebtes immer wieder in seinen Bildern verarbeitet. Darunter auch die Sternstunden seines Lebens, wenngleich er diese sicherlich nicht als solche bezeichnet hätte. Das wäre ihm zu vermessen vorgekommen, dafür war er zu bescheiden.
Claudia und Ulrich Peters haben ihre Sternstunden von Chagall ausgewählt und mit Texten ganz unterschiedlicher Schriftsteller und Dichter ergänzt.
Die Auswahl ist sehr gelungen und gibt somit einen kleinen Eindruck in die große Bilderflut Chagalls.
Zum Beispiel „Das Hohelied Salomons“ auch bekannt unter dem „Hohelied der Liebe“.
Schau es Dir an. Die starken Farben, Jerusalem im Hintergrund, ein Brautpaar auf einem fliegenden Pferd. So unrealistisch… und doch, dass das Pferd fliegt ist für Chagall überhaupt keine Frage. Die Autoren ergänzen in ihren Sternstunden das Bild mit einer Parabel aus Indien, in der es auch um ein fliegendes Pferd geht.
Erschienen ist der Bildband im „Verlag am Eschbach“ 2012, umfasst zarte 56 Seiten und ist meines Wissens nur noch im Antiquariat/SecondHand zu erwerben.
Dirk Rossmann - Der neunte Arm des Oktopus
Mit Oktopoden habe ich mich nie beschäftigt, darum sind sie mir vielleicht auch unheimlich. Schnell, glitschig, sehr intelligent, Einzelgänger, wenig erforscht, aber lecker. Nach der Lektüre von Dirk Rossmanns „Der neunte Arm des Oktopus“ werde ich meine Menüwahl sehr genau überdenken, aus Hochachtung vor dem Oktopus.
Im Laufe der Geschichte wird erklärt, wie der Titel zustande kommt.
Das Buch ist als Thriller deklariert und wird dem gerecht, auch wenn der Ausgang etwas vorhersehbar ist. Zu Beginn des Buches wird uns unterhaltsam anhand eines verbalen Zeitstrahls vor Augen geführt, welch geringen Zeitraum wir Menschen erst auf der Erde leben, und im Verhältnis dazu, welchen großen Schaden wir bereits angerichtet haben.
Der Autor ersinnt eine Vision, die vorstellbar ist, die jedem von uns aber sehr viel abverlangt. In seinem Buch verbünden sich jetzt und heute die großen Nationen dieser Welt, Russland, China und die USA, zu den G3. Die Regierenden sind sich einig, dass der Klimaschutz das oberste Gebot auf dieser Welt sein muss. Mehr braucht es nicht. Greta hat Recht, ob wir das nun hören wollen oder nicht. Dem Klimaschutz muss alles untergeordnet werden, damit alle überleben können.
Fest steht, dass das unzähligen Menschen nicht gefällt. Denen, die mit Waffen ihr Geld verdienen, die von Brandrodung leben, die „Wir sind das Volk“-Rufer, die Unterdrückung wittern. Die G3 drohen mit Gewalt gegen Staaten vorzugehen, die sich nicht den Klimazielen unterwerfen. Alle unverbindlichen Verträge der Vergangenheit, alle freundlichen Bekundungen zu handeln, sind tatenlos verhallt. Rossmann denkt sehr radikal und belegt seine Strategie mit Fakten. Das ist für mich das Faszinierende an diesem Buch. Alles wird erklärt, und das in einem charmanten, verständlichen Stil. Die Recherche dahinter muss unglaublich aufwendig gewesen sein. Es ist dem Autor gelungen weit über „urban gardening“ und Robotics hinaus zu zeigen, was möglich ist, was wir in unserem Denken nicht außer acht lassen dürfen, wovor wir keine Angst haben sollten. Die Welt wird sich verändern, mit oder ohne unser Zutun. Wissenschaft wird hier als Macht gesehen, die angewendet werden muss, die genutzt werden muss.
„Der neunte Arm des Oktopus“ spielt auf zwei Ebenen. Eine im Mai 2100, wo sich in Paris ein elitärer Kreis von Wissenschaftlern zum privaten Austausch und Disput trifft. Die zweite in der unmittelbaren Zukunft, 2025, mit Protagonisten über die Erde verteilt. Eine Krankenschwester in Nigeria, eine Lehrerin in Indien und einen Koch in Brasilien. Ein Großteil des Plots spielt in Brasilien, sodass der Koch eine tragende Rolle übernimmt.
Dem Autor gelingt es, in Welten einzutauchen, die dem Normalbürger völlig fremd sind. Politik, Geheimdienste, Militäroperationen, Geburtenkontrolle, genauso wie synthetisiertes Fleisch, ärztliche Humanoide, und künstliche Intelligenz, die Bewusstsein verändert.
Die positive Idee, dass sich die Supermächte zusammen tun, ist suspekt. Die Regierenden sind sich einig, dass es die nächsten Generationen nicht mehr geben wird, wenn wir so weiter leben wie heute. Die Ausbeutung der Erde wird keine übernächste und folgende Generation leben lassen. Und doch wird von einer Öko-Diktatur gesprochen, Länder lehnen sich dagegen auf und das, obwohl sicher gestellt wird, dass die wirtschaftlichen Folgen aufgefangen werden. Viele Staaten, allen voran Brasilien, wollen sich dem Diktat nicht beugen. Diesen Faden greift der Autor auf und spinnt daraus eine rasante Geschichte um Geheimdienste, Offiziere, Loyalität, Werte und Reichtum. Lässt uns dabei aber auch immer wieder den Blick auf die Krankenschwester, die Lehrerin und den Koch werfen. Lässt uns schauen, was Umweltkatastrophen bereits angerichtet haben, was Armut und Elend bedeuten, was islamistische Sturheit anrichten kann, und was Bildungsmangel für Folgen hat.
Der Autor schafft eine Vision, die absurd erscheint, völlig abwegig und doch irgendwie logisch.
Ein spannendes, kluges, weitsichtiges Buch, zudem klimaneutral hergestellt. Sehr lesenswert !
Joy Fielding – nur wenn du mich liebst
Der Titel in der deutschen Übersetzung ist irreführend und trifft den Inhalt leider nicht. Im Original heißt das Buch schlicht „Grand Avenue“. Die Grand Avenue ist die Straße in der die vier Frauen leben, um die es in diesem Buch geht. Es ist 2001 erschienen und Joy Fielding lässt es Mitte der 1980er – Jahre spielen.
In der Grand Avenue treffen sich die vier Mütter auf dem Spielplatz in ihrer Straße. Es entsteht eine Freundschaft, die für´s Leben gedacht ist und die das Leben doch nicht aushält. Es geschieht zu viel, so dass am Ende fast alles in Scherben liegt. Die vier Frauen, alle Mitte- Ende zwanzig, könnten unterschiedlicher nicht sein. Vicky, erfolgreich als Anwältin, verheiratet mit einem deutlich älteren Mann, eloquent und zielstrebig. Chris, die graue Maus, lebt für ihren herrschsüchtigen Mann und ihre Familie, geht darin auf und merkt doch, dass sie selbst dabei auf der Strecke bleibt. Barbara, schön, strahlend, aufmerksamkeitssuchend, und doch eigentlich scheu, unsicher und von Zweifeln geplagt. Und zu guter Letzt, Susan, die ihren Traum, doch noch Literatur zu studieren umsetzt, für eine Zeitung arbeitet und gegen den Sexismus dort antreten muss.
Bei allen Unterschieden eint die jungen Frauen das Wohlergehen ihrer gleichaltrigen Kinder.
Du als Leser*in begleitest jede dieser Frauen durch ein paar Jahre ihres Lebens, nimmst teil daran, merkst, wie sich so vieles verändert und wie die Freundschaft auseinander driftet. Du liest das unaufhaltsam und begreifst es, lange bevor es dem Quartett bewusst ist. Die ganze Zeit fühlt man sich als Leser*in bemüßigt zu sagen: Mensch, macht eure Augen auf, seid füreinander da, nehmt einander besser wahr. Man möchte ihnen zurufen, seid mutig, wehrt euch, schreit und macht euch groß.
Als es bereits zu spät ist, geschieht es: sie sind mutig, wehren sich, schreien und streiten und machen sich groß.
Die Geschichte ist kein Krimi im klassischen Sinne, auch wenn es eine Tote gibt. Als ich das Buch zur Hand genommen habe, habe ich mich gefragt, will ich wirklich etwas lesen, was in den 1980er – Jahren spielt ? Ist das nicht oldschool ? Überholt, zu altbacken, nicht mehr aktuell ?
Weit gefehlt, die Geschichten der vier Frauen sind deckungsgleich mit vielen Frauen in der heutigen Zeit. Das hat mich erschreckt. Gefühle, Emotionen und Wertvorstellungen verändern sich anscheinend nicht. Noch immer gibt es Frauen, die sich klein machen und ihr Wohl und Weh von ihrem Mann abhängig machen. Noch immer gibt es Frauen, die ihre berufliche Karriere über alles stellen oder die, im Gegenteil, ihre eigenen Laufbahn komplett fallen lassen. Oder eben die Barbie-Puppen, denen die äußere Schönheit immer noch wichtiger ist, als die leuchtende Schönheit, die von innen strahlt.
Das Suchen und Streben nach Zufriedenheit ist noch genauso aktuell wie vor 30 Jahren.
Harlan Coben Ich schweige für dich
Ja, es gibt unzählige Thriller von Harlan Coben, warum ich mich für diesen entschieden habe ? Zufall, zugegeben, aber ein richtig guter Zufall.
Corinne Price hat alles, was sie haben möchte, alles, was sie für ein gutes Leben braucht. Und eines Tages ist sie verschwunden. Sie hinterlässt ihrem Mann lediglich eine Nachricht: such mich nicht, ich brauche ein paar Tage Zeit.
Was ist geschehen ? Es gab einen großen Krach mit ihrem Mann Adam. Adam wurde von einer Unbekannten angesprochen, seine Frau verbirgt ein großes Geheimnis vor ihm. Die Fremde hat Adam ungefragt mit diesem großen Geheimnis konfrontiert und nun steht er da und stellt alles infrage, was seine Ehe, sein Leben und vor allem sein Vertrauen in seine Frau ausgemacht hat. Er sucht das Gespräch mit ihr doch statt einer Antwort verschwindet Corinne am selben Tag. Adam kann nicht glauben, was in den kommenden Tagen an ihn herangetragen wird, kann nicht glauben, dass das alles ihm und seiner Familie geschieht. Was soll er seinen Kindern sagen ? Was den Nachbarn und Freunden erzählen ? Wo ist seine Frau ? Selbst als die Polizei anfängt, Fragen zu stellen, steht er dazu, worum Corinne ihn gebeten hat „ gibt mir Zeit“. Adam merkt nicht, dass sich dadurch die Schlinge um seinen Hals immer weiter zu zieht. Ist doch für das Verschwinden einer Ehefrau in 99 % aller Fälle der Ehemann verantwortlich.
Adam begibt sich auf eine eigene Suche, will Licht ins Dunkel bringen. Lange bekommt er die Fäden nicht zusammen geknüpft und wir, als Leser*in auch nicht. Hat Corinne wirklich Geld unterschlagen ? Kann sie wirklich Wochen überleben, ohne eine Spur zu hinterlassen ? Wer ist die Bekannte seiner Frau, die eine Schwangerschaft nur vorgetäuscht hat ? Warum wusste er von all den Seiten seiner Frau nichts ? Wem kann er noch trauen ?
In diesem Thriller wird der Lebensrhythmus einer typischen amerikanischen Kleinstadt ein- und ausgeatmet. Vereine, Nachbarn, lose Bekanntschaften, berufliche Verknüpfungen, wie du mir so ich dir, das ganze Gefüge des menschlichen Miteinanders spielt hier eine Rolle. Wie abhängig sind wir vom anderen ? In welchen Sumpf begeben wir uns durch üble Nachrede, durch Amtsmissbrauch und Ignoranz ? Die Lage spitzt sich immer weiter zu. Corinne bleibt verschwunden, Adam kann seine schützende Hand nicht länger über sie halten. Es endet blutig, soviel sei verraten. Harlan Coben versteht es, den Spannungsbogen aufrecht zu erhalten.
Kochen ist easy – Jimi Blue Ochsenknecht
Nein, nicht schon im Vorfeld die Augen verdrehen.
Ich koche gern, nach Rezept. Bin kein Freestyler auf diesem Gebiet.
Ja, ich besitze schon etliche Kochbücher, nur gute, denn die schlechten versuche ich erst gar nicht zu kaufen.
Das hier von Jimi Blue Ochsenknecht möchte ich Dir wärmstens empfehlen. Der junge Mann hat keine Kochausbildung oder ähnliches genossen, sondern hat einfach nur die Rezepte, die er gut findet aufgeschrieben. Daraus ist eine sehr gemischte Sammlung entstanden.
Untertitel des Buches „Rezepte aus dem wahren Leben“.
Sehr viele davon habe ich bereits umgesetzt. Mein absoluter Favorit ist ein total simples Dressing, das in seiner Einfachheit einfach nur lecker ist und zu fast allen Salaten passt.
Ochsenknecht hat zeitgemäße Beschreibungen für seine Kategorisierung gefunden wie „Quick & Healthy“ , „Family & Friends“ oder auch „Cook & Impress“.
Dahinter verbergen sich dann zum Teil so schlichte Gerichte wie die „Rote Zora, ein Rote-Bete-Apfel-Salat“ oder „Gutes Thaiming – Thaicurry“ und in der besagten Kategorie „Cook & Impress“ findet sich „Oh Honey – Jimi´s schnelles Hühnchen“. Gut vorzubereiten, gut nach zu kochen und lecker zu verspeisen.
Das Buch ist liebevoll gestaltet und bebildert. Es gibt immer eine sehr kurze Einstimmung auf das Rezept, woher er es hat, was es so besonders für ihn macht.
Ich habe Jimi Blue Ochsenknecht in einer Kochshow „kennengelernt“ und bin von ihm und seiner Art, als junger Mann durch diese Welt zu gehen, sehr angetan.
Das Kochbuch ist ein Quer-Beet-Kochbuch mit Rezepten, die alltäglich erscheinen, doch sonntäglich heraus kommen.
Guten Appetit !
Isabel Bogdan - Der Pfau
Dieses Buch, das Debüt der Autorin, ist ein echter Glückstreffer, charmant, witzig, grandios, ein großes Vergnügen.
Zum Teambuilding verdonnert, reist eine kleine Gruppe Londoner Investmentbanker in die schottischen Highlands, um auf einem etwas herunter gekommenen Landsitz eben das zu erlernen, was sie noch nicht können: ein Team zu sein.
Unterstützen soll sie dabei eine ziemlich durchgedrehte Psychologin. Die ruhige Umgebung und das gute Essen sollen ein Übriges tun. Es gibt diverse Tiere auf dem Hof, u.a. auch einen Pfau. Dieser entpuppt sich als kleines Biest, geht er doch auf alles los, was blau ist. Auf wirklich alles, sodass sich der Gutsbesitzer in seiner Not entschließt, den Vogel zu erschießen. Kurzerhand vergräbt er ihn im Wald, um nach dem Wochenende seiner Frau zu erklären, was mit dem schönen Tier geschehen ist. Allerdings bleibt seine Tat nicht unentdeckt, die Teammitglieder findet nacheinander den Pfau und jeder schließt seine eigenen, falschen Schlüsse daraus. Reden würde helfen, aber, man redet nicht, zumindest nicht miteinander, sondern nur übereinander, oder drum herum oder eben gar nicht. Manch ein Charakter meint, das ganze Elend sei nur stoisch und schweigend zu ertragen, oder ein anderer im ständigen Redefluss. Die einzelnen Figuren sind so klar gezeichnet, dass man sie vor sich sehen kann und deren Eigenarten erkennt und nachvollziehen kann. Innerlich mag man wohl auch manchmal an die eigene Nase fassen, so vertraut sind deren Wesenszüge. Das Buch menschelt sehr schön mit herrlichem britischen Humor.
Dass die Köchin sich mit weitreichenden Folgen den Arm bricht, dass die Chefin ihren Hund mit dabei hat, und dass der blaue Sportwagen wirklich Lackschäden hat, sind dabei nur liebenswürdige Begleiterscheinungen im Text.
So verschroben die Geschichte auch scheint, so klar ist sie in sich gestrickt. Allein dafür bekommt es von mir Applaus. Der finale Gag rundet alles ab und macht das Buch zu einem sommerlichen Lesevergnügen.
Lars Mytting - Die Glocke im See
Norwegen 1880 im tiefsten Winter. Eine Szenerie auf die man sich einlassen muss, abweisend, kalt, dunkel. Die Sprache von Lars Mytting ist klar, rein, fast schon poetisch. An manchen Stellen hatte ich das Gefühl, die Kälte, die Ödnis, die Beklemmung zu fühlen. Ohne irgendeine Gefühlsduselei wird hier die Welt eines kleinen, abgelegen Dorfes in den Bergen von Norwegen beschrieben. Protagonistin ist eine junge Frau, Astrid, die mehr will als das Leben ihr dort bietet. Die aufmerksam ist, hinterfragt und infrage stellt.
Der neuer Pfarrer im Dorf wird ihr Weggefährte in neuem Denken. Sie teilen seine Zeitungen, und so liest Astrid von einer Welt, die ihr völlig fremd ist, aber ganz offensichtlich real. Der Pfarrer findet sich nur schwer im Dorf ein, zu störrisch und eingefahren sind hier alle Abläufe und Rieten. Er kann z. B. nur schwer akzeptieren, dass sich der Kirchenbesuch der Gemeinde nach dem Wetter richtet und nicht nach Sonntagen. Die Leute glauben an Naturgeister und Waldschrate, wollen es sich mit der Kirche nicht verscherzen, mehr aber auch nicht.
Eine neue Bestimmung im norwegischen Kirchenrecht besagt, dass jede Gemeinde eine Kirche haben muss, die groß genug ist, um allen Gemeindemitgliedern Platz zu bieten. Dies ist in seiner Gemeinde nicht der Fall. Zudem ist die Kirche hundert Jahre alt, zugig, kalt, dunkel.
Zu Beginn des Buches gibt es eine eindringliche Szene, die sowohl den Pastor als auch Astrid verändert. Eine alte Frau, schwach, gebrechlich, dem Tode schon näher als dem Leben, kommt in der Kirche während des Gottesdienstes um Leben. Sie schläft ein, sackt gegen die Wand und friert dort fest.
Was kann getan werden ? Der Pastor hat von einem kuriosen Projekt gehört und stellt einen Kontakt nach Dresden her. Dresden, damals wie heute Elbflorenz, damals eine Stadt der Wissenschaft und Architektur. Die Idee ist, die Kirche des Dorfes, eine Stabkirche im ganz eigenen, besonderen Stil, abzubauen und in Dresden wieder aufzubauen. Als eine der letzten ihrer Art, um sie zu erhalten und zu schützen und der Kaiserin zum Geschenk zu machen. Der Architektur- Professor schickt seinen besten Studenten über den Winter nach Norwegen. Dort soll er, Gerhard, den Abbau der Kirche organisieren, das Beschriften der einzelnen Hölzer und Balken, vorher die Kirche komplett zeichnen, damit nachher anhand der Zeichnungen wieder aufgebaut werden kann.
Gerhard kommt aus seiner zivilisierten, schon technisierten Welt in die Norwegische Einöde. Er wundert sich wie man hier überhaupt überleben kann. Schon seine Reise dorthin ist so beschwerlich, dass er glaubt zu erfrieren. Er ahnt noch nicht, dass ihm noch viel mehr widerfährt, noch eine sehr viel eisigere Kälte erfassen wird.
Astrid ist fasziniert von Gerhard. Er malt, ist gebildet und redet mit ihr. Er nimmt sie als Mensch und als Frau wahr, nicht nur als Arbeitskraft und dumme Göre. Astrid hilft den beiden Männern bei deren Arbeit, mehr unbewusst als direkt, und treibt somit das Projekt „Kirchenabbau“ voran. Zarte Liebesbande werden geknüpft, man spürt die Zurückhaltung die dieser Zeit inne wohnt und ahnt, wie ungehörig Astrids Verhalten sein muss. „Lieben. Ein Wort, das in ihrem Dialekt nicht einmal vorkommt.“ Gefühle, für die einfach kein Raum ist.
Die Tragödie nimmt ihren Lauf, der Winter lastet schwer über der gesamten Handlung. Es ist kaum zu ertragen, wie viel die Menschen für ihre Liebe und ihre Lieben auf sich nehmen. Wie nah der Tod ist, wie bizarr und doch aus deren Sicht nachvollziehbar, manche Handlungen sind.
Das Eintauchen in diese damalige Welt ist ein Gewinn. Lass Dich darauf ein.
Der Buchtitel bezieht sich übrigens auf die Glocken der Stabkirche. Diese wurden einst von Astrid´s Familie gespendet und sollten eigentlich immer im Dorf bleiben.
Jürgen Heimlich - Erneuerung in Zeiten von Corona
Ein kleines, feines Büchlein hat Jürgen Heimlich hier herausgebracht. Unvermittelt und mit voller, fast schon brutaler Wucht hat uns im März 2020 das Corona-Virus überfallen. Spontan hat sich der Autor entschieden, aufzuschreiben, wie es ihm in und mit dieser Zeit geht. Mit klaren, wohl überlegten Worten sind Essays entstanden, Sicht- und Denkweisen.
Was hat der aus dem Fernsehen bekannte Privatdetektiv Adrian Monk mit Corona zu tun ? Auch wenn es naheliegend scheint, warum sollte die Hymne „Don´t Give up“ von Peter Gabriel und Kate Bush die Corona-Hymne werden ? Wie sinnvoll ist es, sich schon jetzt Gedanken über eine große Feier im kommenden Jahr zu machen ?
Was können wir planen ? Was können wir loslassen ? Wie groß ist unser Einfluss auf das Geschehen ?
Die Quintessenz des Büchleins: schau auf dich selbst. Fang bei dir an. Nicht umsonst heißt das erste Kapitel „Versucht, gütiger zu sein“. Jürgen Heimlich greift Gedanken auf, bei einem Osterspaziergang, bei einem Caféhaus Besuch, er appelliert an die „Achtsamkeit des Herzens“. Wie kann ein jeder von uns durch sein Verhalten diesen Zustand besser erträglich machen ? Für sich und andere. Mehr noch, wie kann ein jeder von uns daraus gestärkt und wohlgemut heraustreten ? Daran wachsen, ohne sich aufzublähen, daran reifen, ohne innerlich zu zerplatzen ?
Den Ansatz dazu liefert Heimlich auf soziologische, religiöse und fast schon philosophische Art und Weise. Jeder mag sich das heraussuchen, was zu ihm passt.
Stephan M. Rother Ich bin der Herr deiner Angst
Auf Stephan M. Rother´s Krimis bin ich über seine historischen Romane aufmerksam geworden.
Hier geht es um einen Thriller, der mich unglaublich gebannt hat.
Die Geschichte um den Kriminalkommissar Jörg Albrecht und dessen rechte Hand, Hannah Friedrichs, spielt in Hamburg, vorwiegend, manchmal befindet man sich auch auf eine Autofahrt nach Braunschweig oder muss in der psychiatrischen Anstalt in Königslutter ermitteln. Diese Lokalkolorit hat dem Buch gut getan und mir beim Lesen gefallen.
Ein Kollege aus dem Ermittlerteam um Albrecht wird tot in einem Bordell aufgefunden, auf den ersten Blick ist klar, dass es nicht einfach nur ein Mord ist. Hier ist ein Exempel statuiert worden, der Kollege wurde brutal während einer Sado-Maso- Orgie ermordet. Seine Gespielin: eine geheimnisvolle, verkleidete Frau, deren Identität nicht zu klären ist. Wo soll man ansetzen, welchen Spuren kann/muss man folgen ? Als die Ermittlungen gerade erst beginnen, gibt es ein zweites Opfer. Eine Kollegin aus dem Team, die sich im Mutterschutz befindet. Die Grausamkeit dieser Tat ist für alle nur schwer zu ertragen und allein schon beim Lesen nichts für zarte Gemüter. Die Wut und die Beklemmung der Ermittler sind greifbar und geradezu spürbar. Wo sind die Parallelen ? Wer wird der nächste sein ? Gibt es überhaupt ein Schema dahinter ? Zu allem Überdruss ist die Presse in Form einer vorlauten Fernsehreporterin den Ermittlern immer einen Schritt voraus. Füttert der Mörder sie mit Informationen ? Albrecht muss erkennen, dass seine Kollegen in großer Angst gestorben sind, dieses Bewusst-in-die-Angst-Getriebene macht ihn fassungslos. Wer kennt ihn und seine Kollegen so gut, dass er deren Abgründe und Urängste herausfindet und somit auch seine. Jeder Mensch muss mit seinen eigenen Untiefen zurecht kommen, was aber, wenn ein anderer diese gnadenlos zutage fördert ? Ein Kindheitstrauma bei Albrecht, eine Affäre bei der Kollegin Friedrichs ? Die Ermittler suchen Rat bei einem renommierten Psychiater in Braunschweig, der kurz darauf stirbt. Die Spur führt zu einem Fall von vor 30 Jahren, in dem die getöteten Kommissare involviert waren, und wie sich herausstellt, auch der Psychiater. Diese erste heiße Spur treibt die Protagonisten an den Rand ihrer Kraft. Die Ereignisse überschlagen sind. Denken und Tun müssen parallel laufen, was faktisch nicht geht, dadurch geschehen Fehler. Gravierende Fehler, Vertrauen in nicht vertrauenswürdige Personen gesetzt, Gefühle ausgelebt mit berechnenden Menschen, Unterstürzung gesucht, wo es auf der anderen Seite um pures Abwägen geht.
Der Thriller hat viele Winkelzüge, die mich tatsächlich überrascht haben. Das Ende ist etwas holprig, kann man aber als nachvollziehbar durchgehen lassen.
„Ich bin der Herr deiner Angst“ lebt von der rasanten Geschwindigkeit, die sich nicht nur in halsbrecherischen Autofahrten widerspiegelt, sondern auch im Erzähltempo, und er lebt von den Abgründen der menschlichen Seele. Wovor haben wir Angst ?
Mein Wille geschehe – Bernd Schwarze
Ein Kriminalroman, der gute Unterhaltung verspricht und dieses Versprechen auch hält. Benedikt Theves ist Pastor in einer Gemeinde in Norddeutschland. Irgendwie ist er das gern und irgendwie auch nicht. Zweifel plagen ihn, an allem, an Gott und der Welt sozusagen. Die Ehe mit seiner Silke ist eine Zweckgemeinschaft, sein Vikar nimmt ihn nicht für voll, seine Vorgesetzte delegiert alle unangenehmen Aufgaben an ihn, selbst sein Küster macht was er will. Die Gottesdienste und pastoralen Aufgaben nimmt er mehr und mehr mit Magengrummeln, wenn nicht sogar mit Angst, wahr. Die Menschen belächeln ihn, nehmen ihn nicht ernst. Sie meinen ihm fehlt Esprit und Pfiff. Benedikt möchte sich und seine Gemeinde gern mehr für den Glauben und die Kirche begeistern, aber wöchentlich quält er sich durch den theologischen Kalender und ringt um Themen und Formulierungen für Predigt oder Beisetzung. Das Leben erscheint ihm fad und glücklos. So sehnt er sich z.B. in seinen Tagträumen nach der schönen Unbekannten, die er an der Seite eines stadtbekannten Grobians gesehen kann.
Einem spontanen Impuls folgend, entscheidet sich Benedikt, in seiner Gemeinde die Möglichkeit der Beichte anzubieten. Entgegen allen verbalen Attacken und anfänglichem Kopfschütteln, erfreut sich dieses Angebot immer größerer Beliebtheit. Die Leute wollen reden, sich anvertrauen, und Vergebung finden.
Durch unglückliche Verstrickungen macht Benedikt dann auch noch die persönliche Bekanntschaft der schönen Unbekannten. Ihr Name ist Nicole, genau wie der seiner Jugendliebe. Er fühlt sich glücklich und inspiriert wie nie vorher. Diese Verstrickungen haben zum Inhalt, dass der Herr Pastor große Schuld auf sich lädt. Im Affekt begeht er eine schwerwiegende Straftat und ringt seitdem mit sich. „Manchmal benutzt Gott das Böse in uns, um Gutes zu tun.“ Benedikt schaltet nicht sofort die Polizei ein und so nimmt das Unheil seinen Lauf. Denn natürlich kann er schlecht damit leben, ein Verbrechen begangen zu haben.
Dennoch ist Benedikt seltsam beschwingt in seinen Gedanken und bekräftigt in seinem Tun seitdem er gegen das 5. Gebot verstoßen hat.
Bei dem Versuch, sich dem einzigen Kriminalbeamten, den er persönlich kennt, zu offenbaren, erzählt dieser ihm seine leidvolle Geschichte. Auch seinem Mentor, dem pensionierten Bischof Kluge, den er als einzigen Freund hat, mag er nur auf der theoretischen, philosophischen Ebene das Verbrechen erklären. Immer schön im Konjunktiv.
Es kommt eines zum anderen. Um seine Tat zu vertuschen, muss Benedikt seinen Mitmenschen gegenüber einen anderen Ton anschlagen. Bei dem einen rauer, bei dem anderen sanfter. Völlig verblüfft stellt er fest, dass ihm das niemand übelnimmt. Die Konfirmanden diskutieren mit ihm, seine Frau stichelt nicht mehr, seine Predigten werden wortgewandte, lebensnahe Berichte. Die Kirche füllt sich wieder mit Menschen.
Im Rahmen der Beichte erfährt Benedikt immer mehr von kleinen und großen Verfehlungen. Wie am roten Faden führt uns der Autor durch das Kleinstadt- Labyrinth. Wer mit wem warum und wieso? Benedikt lernt einen vermeintlichen Kinderschänder kennen, entdeckt neue Seiten an seiner Frau, und auch sein Bruder, Vorzeigesohn im Elternhaus, wird entthront.
Bernd Schwarze versteht es wortgewandt Figuren zu zeichnen, die genauso schräg sind, wie sie es im realen Leben sein könnten. Immer ein bisschen überzeichnet, ein bisschen zu schrill oder ein bisschen zu verhuscht. Zudem nimmt der Autor, selbst Pastor, uns Leser mit auf mehrere Exkursionen in Bibelzitaten, Kirchenangelegenheiten und philosophischen Denkanstößen. Schwarze zeigt dabei viel Humor und Tiefgang.
Benedikts Misere klärt sich zum Schluss logisch auf. Die ineinandergreifenden Randgeschichten finden ihre Abschlüsse und alles in allem ist „mein Wille geschehe“ ein vergnügliches und kurzweiliges Leseerlebnis. Gute Unterhaltung.
Die Kunst des Liebens - Erich Fromm
Vorab ein paar Worte zu Erich Fromm, dem Sozialwissenschaftlicher, Psychoanalytiker und vor allem dem Humanisten.
Gelebt hat Fromm von 1900- 1980 und sein Hauptwerk ist zweifelsfrei „Die Kunst des Liebens“
Nach der Machtergreifung Hitlers verließ er Deutschland, zog zunächst in die Schweiz und emigrierte im Mai 1934 in die Vereinigten Staaten, wo er an der Columbia University in New York tätig war.
Fromm beteiligte sich aktiv an der US-amerikanischen Friedensbewegung und es heißt, dass das FBI über ihn ein sehr umfassendes Dossier hat.
Fromm war ein unbequemer und auch lauter Vordenker. Laut im Sinne von „sich Gehör verschaffen“, Meinung äußern und Konsequenzen daraus ziehen.
Der Mensch hat nach Fromm nicht nur physische, sondern auch psychische Grundbedürfnisse, die in seiner Existenz wurzeln. Hieraus ergibt sich, dass für seine psychische Gesundheit universelle Kriterien gelten, die vom gesellschaftlichen System entweder gefördert oder unterdrückt werden können.
Ein psychisches Grundbedürfnis ist das nach Liebe. Umfassend beschrieben in Fromms „Die Kunst des Liebens“
Mein Lieblingssatz aus dem gesamten Buch:
In der Liebe kommt es zu dem Paradoxon, dass zwei Wesen eins werden und trotzdem zwei bleiben.
Weiter unten einige Passagen daraus, die mich sehr angesprochen haben und von denen ich mir immer wieder ins Gedächtnis rufe und nachlese, wie wahr sie sind.
Teil diese wichtige Erfahrung gern mit mir.
Die meisten Menschen sehen das Problem der Liebe in erster Linie als das Problem, selbst geliebt zu werden, statt zu lieben und lieben zu können. Daher geht es für sie nur darum, wie man es erreicht, geliebt zu werden, wie man liebenswert wird.
Viele Menschen meinen, zu lieben sei ganz einfach, schwierig sei es dagegen, den richtigen Partner zu finden, den man selbst lieben könne und von dem man geliebt werde.
Der Mann ist hinter einem attraktiven jungen Mädchen und die Frau ist hinter einem attraktiven Mann her. Dabei wird unter „attraktiv“ ein Bündel netter Eigenschaften verstanden, die gerade beliebt und auf dem Personalmarkt gefragt sind. Was einem Menschen speziell attraktiv macht, hängt von der jeweiligen Mode ab – und zwar sowohl in körperlicher wie auch in geistiger Hinsicht.
Jedenfalls entwickelt sich das Gefühl der Verliebtheit gewöhnlich nur in Bezug auf solche menschlichen Werte, für die man selbst entsprechende Tauschobjekt zur Verfügung hat.
Die beiden Menschen lernen einander immer besser kennen, und dabei verliert ihre Vertrautheit immer mehr den geheimnisvollen Charakter, bis ihr Streit, ihre Enttäuschungen, ihre gegenseitige Langeweile die anfängliche Begeisterung getötet haben. Anfangs freilich wissen sie das alles nicht und meinen, heftig verliebt und „verrückt“ nacheinander zu sein, sei ein Beweis für die Intensität ihrer Liebe, während es vielleicht nur beweist, wie einsam sie vorher waren.
Es gibt kaum eine Aktivität, kaum ein Unterfangen, das mit so ungeheuren Hoffnungen und Erwartungen begonnen wird und das mit einer solchen Regelmäßigkeit fehlschlägt wie die Liebe.
Trotz unserer tiefen Sehnsucht nach Liebe halten wir doch fast alles andere für wichtiger als diese: Erfolg, Prestige, Geld und Macht.
Halten wir vielleicht nur das für der Mühe wert, womit wir Geld verdienen oder was unser Prestige erhöht, und ist die Liebe, die „nur“ unserer Seele nützt und die im modernen Sinne keinen Gewinn abwirft, ein Luxus, für den wir nicht viel Energie aufbringen dürfen ?
Der Mensch ist mit Vernunft ausgestattet; er ist Leben, das sich seiner selbst bewußt ist. Dieses Bewußtsein seiner selbst als einer eigenständigen Größe, das Gewahrwerden dessen, dass er eine kurze Lebensspanne vor sich hat, dass er ohne seinen Willen geboren wurde und gegen seinen Willen sterben wird, dass er allein und abgesondert und der Kräften der Natur und der Gesellschaft hilflos ausgeliefert ist - all das macht seine abgesonderte, einsame Existenz zu einem unerträglichen Gefängnis. Er würde dem Wahnsinn verfallen, wenn er sich nicht aus diesem Gefängnis befreien könnte – wenn er nicht in irgendeiner Form seine Hände nach anderen Menschen ausstrecken und sich mit der Welt außerhalb seiner selbst vereinigen könnte.
Alle Formen der orgiastischen Vereinigung besitzen drei Merkmale: sie sind intensiv, ja sogar gewalttätig, sie erfassen die Gesamtpersönlichkeit, Geist und Körper, und die sind vorübergehend und müssen regelmäßig wiederholt werden.
Der Wunsch nach einer zwischenmenschlichen Vereinigung ist das stärkste Streben im Menschen.
Die reife Liebe bewahrt die eigenen Integrität und Individualität.
In der Liebe kommt es zu dem Paradoxon, dass zwei Wesen eins werden und trotzdem zwei bleiben.
Liebe ist etwas, das man in sich selbst entwickelt, nicht etwas, dem man verfällt.
Die Leuchtturmwärter – Emma Stonex
Die Idee hinter dem Buch hat mich fasziniert, drei Männer verschwinden spurlos von einem unzugänglichen Leuchtturm. So geschehen im Dezember 1900 auf der Insel Eilean Mór in den Äußeren Hebriden.
Emma Stonex packt die Geschichte ins Jahr 1972 vor die Küste von Lands End, Cornwell, England.
Ein Leuchtturm im Meer, die Maiden, ist der Schauplatz der Story. Man stelle sich vor, ein paar Quadratmeter umbauter Raum, einige Meilen vor der Küste, Mitten im Meer, neun Etagen hoch. Beengtes Leben, nach klaren Regeln, ohne Abwechslung, ohne Besuch, ohne eigenständiges Fortkommen.
Heute haben Leuchttürme weitestgehend ausgedient, wenn nicht, sind sie von hoher technischer Ausstattung, sodass keine Besatzung mehr notwendig ist. Damals war das anders. Wir lernen in dem Buch von Stonex auch viel über das Betreiben eines Leuchtturms, über die Abläufe, den Rhythmus, über das eigenartige Leben dort. Drei Männer verbringen dort jeweils etwa sechs Wochen auf dem Turm, sorgen gewissenhaft rund um die Uhr dafür, dass die Schiffe vor der Küstengefahr gewarnt werden und Orientierung erhalten. Ein vermeintlich stumpfer, aber sehr verantwortungsvoller Posten.
Arthur, der Oberwärter, trägt diese Verantwortung, ein Mann mittleren Alters, erfahren auf vielen Türmen, belesen, besonnen und gerecht. Verheiratet mit Helen, einer eigenständigen Frau, die dennoch seine wochenlange Abwesenheit nur schwer ertragen kann.
Bill, Familienvater, ein bisschen großspurig, immer auf der Suche nach mehr, nach anderem, nach höherem. Fügt sich ein, weil er muss, nicht weil er will. Möchte selbst gern Oberwärter werden, zügelt sein Temperament nur notgedrungen. An Land wartet Jenny sehnsuchtsvoll auf Bill, gemeinsam mit den drei kleinen Kindern. Jenny fühlt sich von Bill verraten, allein gelassen. Trauert, dass er rausfährt, nimmt es hin wegen der Notwendigkeit des Broterwerbs. Sie hätte so gern einen fürsorglichen, zugewandten Ehemann, doch das ist Bill für sie nicht. Jenny kommt als biedere Hausfrau daher, der die Welt auf den Kopf fällt.
Vince, ein junger Heißsporn, der versucht sein Leben in den Griff zu bekommen und diesen Job, den ersten in seinem Leben und dann auch noch auf einem Leuchtturm, als große Chance sieht. Vince ist bereits schwer gebeutelt in seinen jungen Jahren, als ungeliebtes Kind bei diversen Pflegeeltern und in Heimen aufgewachsen, nur sporadisch von einer missbilligenden Tante begleitet. Sein Weg war von Kindesbeinen an scheinbar vorbestimmt in die Kriminalität. Er sieht und ergreift seine Chance auf ein anderes Leben als er Michelle kennen- und lieben lernt. Auch für Michelle ist Vince die große Liebe und sie unterstützt und bestätigt ihn bei seiner Arbeit, auch wenn ihr jeder Abschied wie ein kleiner Tod vorkommt. Beide schmieden Pläne von Familie und Zusammenhalt.
Jeder dieser Männer hat sein eigenes Leben, geprägt von Dingen und Vorfällen, die jeden zu eben dem Mann gemacht haben, der er jetzt ist. Nach und nach entblättert Stonex für uns die einzelnen Schichten der Männer. Zeigt uns Härte und Verletzlichkeit, zeigt uns Würde und Wut, zeigt uns Trauer und die kleinen und großen Freuden des Lebens. Stonex beschreibt auch sehr eindrücklich die Lage der Frauen, die diesen Männern zur Seite stehen. Sie enthüllt auch deren Leben auf der Landseite, den Leuchtturm im fernen Blick, und dennoch allein, abgeschieden, sich selbst überlassen im Denken und Entscheiden.
Die Autorin versteht es mit einprägsamen Worten die Macht des Meeres darzustellen. Die raue Küste des Atlantiks ist selten heiter Sonnenschein. Das Meer ist wild und aufbrausend, das Meer ist tief und gefährlich. Das Meer ist unberechenbar und mächtig. Ganz schnell kommt man sich als Leser klein wie eine Nussschale auf hoher See vor. Wir spüren die Gischt auf unserer Haut, fühlen den Wind, der an der Kleidung zerrt. Riechen den Mief von Enge und ungewaschenen Körpern. Wir schmecken das allgegenwertige Salz mit jedem Bissen, wir riechen das Meer gemeinsam mit den drei Männern.
Die Lebensgeschichten der drei Leuchtturmwärter greifen unheilvoll ineinander. Man redet nicht viel, man interpretiert das Schweigen, glaubt, den anderen richtig einzuschätzen, genau zu kennen.
Das ist auch eine große Botschaft des Buches, Schweigen schadet. Wie die Männer auf der Maiden nicht reden können, so schweigen sie auch zuhause mit ihren Frauen. Daraus wächst Frustration, Misstrauen, Eifersucht. Es kommen Gefühle auf von Ablehnung, Abwertung und Missachtung. Vertrauensmissbrauch, Verrat und Lügen sind die Folgen des Schweigens.
Es ist ein großartiger Roman über Liebe und Verlust, über Trauer und Einsamkeit. Eine bewegende Geschichte der sechs Charaktere und deren Geheimnisse, deren Wünsche, deren Träume. Manchmal verwischen Realität und Einbildung, Vergangenheit und Zukunft. Manchmal werden Gefühle übermächtig und treiben uns zu unvorstellbaren Taten.
Der Ansatz des Buches gleicht einem Krimi. Die Tür des Turms ist von innen verschlossen. Der Tisch zum Abendbrot gedeckt, allerdings mit zwei statt drei Gedecken. Die Uhren sind zur selben Zeit sehen geblieben. Sehr feinsinnig enträtselt Emma Stonex diese Fakten. Sie erzählt mit sanften Worten von der Wucht der Taten.
Zwanzig Jahre später macht sich ein Journalist auf, Licht in dieses dunkle Geheimnis, um die verschollenen Leuchtturmwärter zu bringen. Er führt Gespräche mit den Frauen der verschwundenen Männer, mit den Verantwortlichen in der Betreiberfirma, mit den Fischern vor Ort. Er versucht das Geheimnis zu lüften. Warum wurden die Nachforschungen so schnell eingestellt? Warum hat man den Worten eines Fischers nicht geglaubt, er habe trotz schwerer See, ein Boot auf den Leuchtturm zufahren sehen? Warum gelten die Männer immer noch als verschollen und nicht als tot?
Manche Geheimnisse sollten lieber Geheimnisse bleiben. Manche Geheimnisse sind so traurig, so rührig, so unbegreiflich, dass sie unausgesprochen weniger Unheil anrichten. Schweigen ist also doch besser als Reden? Nein, aber alles zur rechten Zeit.
Ein König für Deutschland – Andreas Eschbach
Andreas Eschbach ist ein Meister seiner Zunft. Er versteht es, Fiktion mit Realität zu mischen, sodass Grenzen verschwimmen. Hier wird ein Sachverhalt dargestellt, so logisch aufgebaut, als ob es passiert. Das macht den großen Reiz dieses Buches aus.
Stellen wir uns vor, im Jahr 2009 wird im Dom zu Aachen ein neuer, deutscher König gekrönt. Wo auch sonst? Unvorstellbar? Mit Nichten.
Der Geschichtslehrer Simon König hadert mit seinem Dasein. Die Schule als steife Behörde, die Schüler und deren Eltern, die sich immer mehr dem Wissen abwenden, seiner Nachbarin, die ihm immer auflauert, wenn die Kehrwoche nicht zu ihrer Zufriedenheit ausgeführt wurde. Ja, Herr König ist unzufrieden. Er hat Ideen, wie er was ändert würde, wenn er denn könnte.
Unverhofft und unfreiwillig gelangt er in den Besitz einer CD, die ihm dabei behilflich sein könnte. Allerdings ohne, dass er das weiß, und diese CD wird ihm, durch Zauberhand, genauso schnell wieder abgenommen, wie er sie bekommen hat. Simon König weiß nicht, wie ihm geschieht, als dubiose Leute bei ihm auftauchen, als er bedroht wird, als seine heile Welt auf den Kopf gestellt wird.
Was hat sein Vincent, unehelicher Sohn, aus den USA damit zu tun? Von eben dem hat er die CD geschickt bekommen, bevor dieser ins Gefängnis musste.
König ist ratlos und gerät in einen Strudel von Ereignissen, die er einfach nur noch so hinnehmen kann.
Ein Zauberer aus einer Mafia- Familie, muskelbepackte Leibwächter, seine hübsche Ex-Noch-Frau, dazu ein kleiner Haufen von Computer-Nerds, die ihn in eine Welt mitnehmen, die so gar nicht die seine ist. König hat weder Fernseher noch Computer zuhause, alle elektronischen Medien sind ihm suspekt. Und nun werden elfengleiche Schönheiten, typische Computer-Freaks und Real-time- fantasy-gamer zu seinen Freunden. Das Leben ist ein Spiel. Dieses Spiel heißt, König von Deutschland.
Es wird nicht zu viel verraten, wenn ich sage, dass auf der CD ein Programm ist, mit dem sich Wahlcomputer manipulieren lassen. Vincent hat dies geschrieben und so in den USA Wahlen manipuliert. Blut geleckt, soll dies nun auch in Deutschland passieren. Zumindest soll es als Druckmittel zur Erpressung herhalten. Die Landtagswahl in Hessen wurde – vorausgesagt – manipuliert. Es wird demonstriert, dass das möglich ist. Simon König kann es nicht glauben, muss sich aber den Fakten geschlagen geben. Die Szenerie wird aufgebaut: was wäre wenn? Alex, der Spielemacher, setzt diese Szenerie in die Realität um. Was muss getan werden, damit Deutschland wieder einen König hat? Was alle Welt für einen schlechten Scherz hält, lässt sich realisieren. Das Spiel, die Show zur Erlangung der Königswürde beginnt.
Andreas Eschbach gelingt der Spagat zwischen Absurdität und Realismus. Eine Allegorie über Manipulation, über Technik-Hörigkeit gepaart mit stumpfer Ignoranz. Was nicht sein darf, das kann auch nicht sein. Doch es kann. Computer sind manipulierbar. Der Autor erzählt und erklärt – zu weilen mit Fußnoten – die Schritte und Notwendigkeiten. Er verweist auf aktuelle Rechtsprechung oder auch auf belegbare Sachverhalte. So z.B., dass die Wahl von George W. Bush 2001 nur knapp durch die Stimmen des Bundestaates Florida entschieden wurden. Und diese, so Eschbach, wurden manipuliert. Der technische Fortschritt wird von ihm nicht verteufelt, dennoch stellt er ihn im Zusammenhang mit demokratischen Wahlentscheidungen rigoros infrage. Er bezieht sich dabei auch immer wieder auf nachlesbare Aussagen die z.B. der ChaosComputerClub dazu getätigt hat. Allein schon die Tatsache, dass führende Computerspezialisten der Auffassung sind, dass Wahlen nach wie vor mit einem haptischen Stimmzettel abgehalten werden sollten, spricht Bände. Alles ist möglich.
Eschbach verpackt dieses erschreckende Szenario in eine amüsante Geschichte. Er rüttelt an den Grundfesten der Demokratie und führt sie ad absurdum.
Simon König, unser Protagonist, beteiligt sich daran, weil er beweisen will, dass eine Manipulation möglich ist. Als die Wahllokale schließen, das tatsächliche Wahlergebnis ins Gegenteil der Hochrechnungen umschlägt, überschlagen sich die Ereignisse. Ganz Deutschland fragt sich: wie kann das sein? Die gängigen Parteien sind ratlos. Geheimdienste, Gremien, Behörden werden bemüht. Vergeblich. Es lassen sich keine Manipulationen feststellen. Das Verfassungsgericht urteilt in einem Eilverfahren, dass man „des Volkes Stimme so akzeptieren müsse“ und „nur weil einem das Wahlergebnis nicht passt, kann man nicht die ganze Wahl anzweifeln“. Gewinn auf ganzer Linie für den König. Es lebe die Demokratie. Simon König ist ratlos, eine neue Monarchie ist geboren. Die Fantasy-Gamer, ziehen in den Bundestag ein, allen voran der Spielleiter Alex, der Bundeskanzler wird. Im Vorfeld hat man geklärt, dass das Grundgesetz die Möglichkeit einer Gewaltenänderung hergibt. Das alles erschreckt sehr. Herrn König und die Leser/innen.
Simon König wird nicht König von Deutschland. Was aber nur daran liegt, dass er das nicht will. Machbar, denkbar, durchsetzbar, ja, rechtlich haltbar, wäre sein Anspruch auf den Titel.
Andreas Eschbach spinnt hier wunderbar ein Netz aus Altertum und Neuzeit, verwebt Monarchie mit zukünftiger Staatsgestaltung. Die Deutsche Welle hat zu diesem Buch geschrieben: Eschbach denkt konsequent weiter, was schon längst Gegenwart ist und kaum jemand wahrhaben will.
So ist es. Von mir eine unbedingte Leseempfehlung.
Am Ende aller Zeiten – Adrian J. Walker
Ein Endzeit-Roman. Erst dachte ich, noch einer, doch dann dachte ich, irgendwie ist der anders.
Der Klappentext titelt „Wie weit würdest du gehen für die, die du liebst?“
Dieser Roman ist näher bei mir, näher an der Realität. Der Anfang ist etwas zähfließend. Ed Hill steckt in seinem Leben fest. Mitte 30, weder besonders hässlich noch besonders auffällig, Durchschnitt, verheiratet, zweifacher Vater, Eigenheimbesitzer, Vollzeitarbeitend in einer namenlosen Firma, ohne besondere Interessen, ohne spezielle Hobbies, ohne nennenswerte Vergangenheit, ohne Bewusstsein für seine Zukunft. Ed Hill lebt so vor sich hin und ist unzufrieden ohne Ende. Alles ist aus seiner Sicht farblos, langweilig, eintönig. Er steckt fest in seinem Leben. Sieht sich schon jetzt in einem Hamster-Rad. Diese Lethargie, dieses Selbstmitleid, diese Eintönigkeit lässt Adrian J. Walker sehr nachdrücklich auf den Leser eindringen. Das nervt ein bisschen. Im Nachhinein wird mir bewusst, warum er das getan hat. Damit der Leser versteht, was im weiteren Verlauf geschieht.
Die Handlung spielt in Großbritannien in der aktuellen Zeit. Der Himmel verdüstert sich, ein Grollen, ein Beben, Rauch und Asche überall. Dumpfe Einschläge überall. Ed schiebt in Panik seine Familie in den einen Kellerraum unter seinem Haus. Wirft hektisch alles hinein, was er noch greifen kann, bevor das tosende Unwetter oder was auch immer es ist, immer näherkommt. Ohne Sinn und Verstand, wirft er Dinge in den Kellerraum, auch ein paar Lebensmittel, auch das Kinderspielzeug. Die Kellerluke wird zugezogen und die vier sitzen im Dunkeln und Harren der Dinge, die da kommen. Der Lärm von draußen dringt hart und ohrenbetäubend zu ihnen durch. Die Angst, die Unsicherheit, der Horror ist groß. Was passiert draußen? Sturmgeheul, Bäume brechen, Wände stürzen ein. Ein Hörspiel für die Familie im Keller, ganz ohne Bild. Vor deren inneren Augen spielen sich sämtliche Worst-Case-Szenarien ab. Ed und Beth spekulieren über einen Bombenangriff. Wer sollte Großbritannien mit Bomben unbemerkt angreifen? Ein Atomunfall? Möglich. Sie lassen Vorsicht walten, bleiben einige Wochen im Keller. Die ganze Zeit über zweifelt Ed an sich und seiner Einstellung zum Leben. Hat er ausreichend vorgesorgt? Warum ist er nur so ein schlechter Vater? Hätte er seine Familie nicht besser auf solche Unglücke vorbereiten müssen? Nach einiger Zeit ist klar, man muss raus aus dem Keller. Alle Nahrung ist aufgebraucht, alle Kerzen abgebrannt, alle Nerven sind zum Zerreißen angespannt.
Das Bild, welches sich draußen bietet, ist eine einzige Horror-Vision. Kein Stein mehr auf dem anderen, alles zerstört. Keine Sonne mehr, alles trüb. Keine Straßen, Bäume, Konturen mehr erkennbar. Alles bedeckt von Erde, Schwamm, Geröll und überall Krater, mal tief, mal weniger tief. Fassungslos ringen Ed und seine Frau mit dem weiteren Vorgehen. Was ist zu tun? Sie treffen auf einige andere Überlebende und finden vorerst Zuflucht in einer ehemaligen Kaserne, in der noch einige Soldaten sind und die Versorgung noch halbwegs funktioniert. Es gibt Lebensmittel und sauberes Wasser, es gibt Wärme und Ruhe und Schutz. Es gibt aber keine Kommunikation mehr mit anderen Einheiten, sämtliche Netze sind zusammengebrochen. Man arrangiert sich in der Kaserne, findet Abläufe, stellt ein System her, mit und in dem erstmal alle irgendwie überleben können. Um den Lebensmittelvorrat aufzufüllen, werden Trupps losgeschickt, um nach Ess- und Trinkbarem zu suchen.
Die Welt, wie wir sie kannten, existiert nicht mehr. Bruchstückhaft wird klar, dass Asteroiden die gesamt nördliche Halbkugel zerstört haben. Je länger die Situation anhält, desto größer werden die Spannungen innerhalb der Gruppe. Wer hat hier eigentlich das Kommando? und Warum? Wochen vergehen, man lebt von Tag zu Tag, schützt sich vor marodierenden Banden und versucht eine Struktur aufzubauen. Doch eigentlich ist klar, dass das nicht funktionieren kann. Ed ist verzweifelt und steckt den Kopf in den Sand. Was kann er schon tun? Warum muss ausgerechnet er in so eine Situation kommen? Wäre es nicht einfacher, tot zu sein? Er verliert den Halt zu seiner Familie, seine Frau ist ihm fremd, sie kümmert sich nur um die Kinder und nicht um ihn. Die Kinder, die immer nur fordern und immer nur etwas von ihm wollen. Die ihm nichts zu geben haben. Wie sinnlos ist das alles?
Von irgendwoher kommt die Nachricht, dass an der Südküste Englands Schiffe ablegen sollen. Schiffe, die Überlebende auf die Südhalbkugel bringen sollen. Dorthin, wo leben möglich ist, wo die Infrastruktur noch funktioniert, wo es noch Sonne, Licht und Nahrung gibt. Angeblich sollen Hubschrauber kommen, nach Überlebenden suchen und diese einsammeln. Für viele ist das die einzige Hoffnung, für manche eine große Lüge. Ed ist mit einer kleinen Gruppe unterwegs, zu Fuß, viele Meilen von der Kaserne entfernt. Sie sehen am Himmel eine kleine Flotte aus Hubschraubern, gelb und laut und offensichtlich nach Leben suchend. Sie machen sich bemerkbar, doch die Hubschrauber fliegen weiter in Richtung Kaserne. Die Gruppe macht kehrt, doch schafft es nicht mehr rechtzeitig zurück.
Bis auf wenige Menschen ist die Kaserne geräumt worden. Alle Insassen wurden evakuiert und mitgenommen. Eine Handvoll Leute sind dageblieben, um auf die Rückkehrer zu warten und auf den nächsten, den letzten Hubschrauberflug. Eds Familie ist weg. Die grimmige, anklagenden Beth, die schreienden, nervigen Kinder: weg. Ed steht da und spürt zum ersten Mal diese große Leere in sich. Größer als alles, was er vorher je gefühlt hat.
Als feststeht, dass kein Hubschrauber zurückkommen wird, beschließen die Zurückgebliebenen auf eigenen Faust gen Süden zu ziehen. Fahrzeuge fahren nicht mehr, kein Benzin mehr, und, worauf auch? Alle Straßen sind übersäht mit Kratern und Schlaglöchern, sind oftmals gar nicht mehr als Straßen zu erkennen. Man zieht zu Fuß los. Allein die Vorstellung daran treibt Ed in den Wahnsinn. Er ist unsportlich, hat keine Kondition, raucht und ist in schlechter Gesamtkonstitution. Er hat Panik vor dem, was vor ihm liegt. Mit Recht, wie sich herausstellt.
Die Beschreibung dieses Weges, dieser Reise, dieses Martyriums ist das Eindringlichste, was ich seit Langem gelesen habe. Adrian J. Walker nimmt uns mit in diese apokalyptische Welt. Stellt uns die Wanderer vor, gibt uns kleine Einblicke in ihre Leben. Er stellt uns auch die Umwelt vor, wie es aussieht, wenn nichts mehr so ist, wie es war. Wenn es keine Städte, Felder, Wälder mehr gibt. Wenn immer mal wieder Überlebende auftauchen, die auf ganz unterschiedliche Weise diese Katastrophe überstanden haben. Die jetzt auch nur eines wollen, nämlich weiterleben, um jeden Preis.
Ed gerät sehr schnell an seine Grenzen. Physisch und mental. Er zweifelt an sich, der Welt, dem Universum. Warum tut er sich das an? Er begreift, dass er all das auf sich nimmt, für das Einzige, was jetzt noch wichtig ist, für seine Familie. Um die Schiffe rechtzeitig zu erreichen, das Gerücht besagt, dass sie Weihnachten ablegen sollen, bleibt nicht mehr viel Zeit. Der Trupp muss sein Tempo verschärfen, muss schneller werden, täglich mehr Strecke schaffen. Mehr als einmal denkt Ed, er fällt einfach um und bleibt liegen. Mehr als einmal schafft er es aus reiner Willenskraft, sich über Schmerzen und Qualen hinweg zu setzen und einfach weiter zu laufen. Ein Fuß vor den anderen. Irgendwann sind sein Kopf und sein Herz leer. Die totale körperliche Erschöpfung und ein komplett ausgebrannter Geist. Ed halluziniert, führt Selbstgespräche. Jeder in der Truppe kommt an seine Grenze und alle kommen darüber hinaus. Keiner gibt auf, jeder treibt den anderen immer wieder immer weiter an. Es ist detailliert zu lesen, wie sich die Gruppe zusammenfindet, wie sie teilt und organisiert, wie sie einander am Leben halten und sterben.
Über tausend Hindernisse und durch tausend Irrwege, durch unwirkliche Realität laufen die Leute weiter. Sie haben ein Ziel vor Augen.
Ed nimmt den Leser mit auf seinen Weg, auf seine Reise zurück zur Familie. Wir durchleiden mit ihm alles, was passiert. Teilen mit ihm seine Gedanken, seine Furcht, sein Selbstmitleid. Erleben mit ihm auch den Zusammenhalt und die Freundschaft, aber auch den Verrat und den Egoismus.
Ed kommt an. Ed ist ein anderer geworden und doch derselbe geblieben. Das großartige an dem Buch ist, dass es mir aufgezeigt hat, was alles möglich ist, wenn wir müssen. Was wir dann alles können. Niemals aufgeben. Immer weiter gehen, nicht auf Scherben zum Stehen kommen. Jedes Licht als Hoffnungsschimmer deuten.
Auch wenn du denkst, es ist das Ende: das ist es nicht.